Foto: Deiner

Marius Müller-Westernhagen rockt am Sonntagabend vor knapp 8000 Fans.

Stuttgart  Marius Müller Westernhagen hat das Bockige, Zickige, Zornige und Mürrische des Rock'n'Roll wiederentdeckt. In der Schleyerhalle bekamen am Sonntagabend knapp 8000 Fans ein Konzert zu hören, durch das immer wieder der Bluesrockteufel tobte.

Der Vorhang, der eben noch die Bühne verdeckt hat, kann gar nicht schnell genug hochgezogen werden. Ungeduldig drängt hinter ihm ein zäher Rolling-Stones-Riff hervor und Marius Müller-Westernhagen klingt schon bei der ersten Strophe heiser: "Mit ein bisschen Glück werden wir verrückt."

An diesem Sonntagabend in der Schleyerhalle in Stuttgart spielt der Sänger und Ex-Schauspieler ("Theo gegen den Rest der Welt") für die 8000 Zuschauer wieder den Bluesrocker, der er am Anfang seiner Karriere war. In der aufstampfenden Version von "Es geht mir gut" ebenso wie in dem zornigen Boogie "Schnauze voll" vom aktuellen Album "Williamsburg", das man wie eine altersweise, desillusionierte Rückkehr zu der Musik, die Westernhagen früher auf Platten wie "Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz" machte, verstehen kann.

Als der Song kurz vor den Zugaben auf dem Programm steht, hat sich tatsächlich der überdrehte Rock'n'Roll von damals in einen Blues verwandelt - zumindest am Anfang. Erst dann gibt Westernhagens Band Gas, und er singt: "Glaubst du an den lieben Gott oder an Guevara? Ich glaube an die deutsche Bank denn die zahlt aus in bar."

Und auch mit 61 ist Westernhagen immer noch ein verdammt dürrer Hering der mal schreit, mal mit Kopfstimme flüstert, sich redlich bemüht wie ein Bluessänger zu klingen. Selten nur geht es an diesem Abend nicht um Sturm und Drang, um die Wut im Bauch. Der Countrywalzer "Durch deine Liebe" ist eine dieser Ausnahmen - ein Song, in dem es um die Verletzungen geht, die einem die Liebe nur allzu gerne zufügt. Und hinter der Band wird ein Meer aus Kerzen an die Wand projiziert. "Ihr seid wahnsinnig", sagt Westernhagen hinterher, "danke, dass ihr gekommen seid." Er trägt einen schicken Anzug, einen smarten Bart, eine runde Sonnenbrille und versteht es immer noch ausgezeichnet, das Publikum auf seine Seite zu bringen.

Das gelingt ihm am Sonntag aber weniger mit schnulzigen Liebeserklärungen wie in "Engel", mit Balladen wie "Typisch du" oder "Ganz und gar", mit Sozialkitsch wie "Wieder hier" oder damit, dass er Werbung für die Soloplatte seiner Backgroundsängerin macht, sondern mit seinem Flirt mit dem Rock'n'Roll-Existenzialismus und damit, dass er die Hymne "Freiheit" den Menschen, die gegen Stuttgart 21 demonstrieren, widmet. "Es geht nicht darum, ob man dafür oder dagegen ist, sondern, darum, dass man den da oben zeigen muss, dass sie nicht einfach über unsere Köpfe hinweg regieren können."

Marius Müller-Westernhagen ist während der zweieinhalb Stunden immer dann am besten, wenn er sich kaum Zeit zum Luftholen lässt, wenn er sich zum "Willenlos"-Shuffle einmal mehr als Opfer weiblicher Sexualisierungen inszeniert. Wenn er in "Fertig" über die Bühne stolziert, wenn er "Alleine" ein Powerrockfinale beschert, wenn durch einen Song eine Wah-Wah-Gitarre und durch einen anderen eine störrische Mundharmonika zuckt.

Westernhagen hat mit "Williamsburg" den Rock'n'Roll wieder entdeckt, sein Repertoire klingt so robust und erdig wie lange nicht mehr. "Habt Ihr Spaß?", wird er das Publikum später fragen, bevor sein Musical-Director Kevin Bents die Musiker vorstellen darf, die hauptsächlich US-Amerikaner und Briten sind und zusammen eine erstklassige Band abgeben. Das zeigt sich in Bluesnummern wie "Aber lieben werd ich dich nie" ebenso wie in "Hey Hey", das ein bisschen nach New Orleans, ein bisschen nach John Lee Hooker klingt, mit einer quengelnden Orgel ein Fest auf den Nihilismus feiert.

Und in den Zugaben kommt dann endlich "Mit 18", der Song, mit dem Westernhagen schon 1979 die Midlife Crisis eines Künstlers besang, bevor seine Karriere überhaupt richtig angefangen hatte. "Ich will zurück auf die Straße, will wieder singen nicht schön, sondern geil und laut", sang er damals, singt er heute. Und seine Band sorgt derweil für die Dröhnung.