Keine haarige Geschichte: Michael Kiwanuka im Wizemann Foto: Lichtgut / Ferdinando Iannone

Andächtige Stille und tosender Jubel: Michael Kiwanuka hat im Wizemann gezeigt, weshalb derzeit kein Engländer schöneren, bewegenderen Soul spielt als er.

Stuttgart - Es ist ein Bild wie aus einer TV-Aufzeichnung der Siebziger: Ein weißer, sanft angestrahlter Hintergrund, davor sieben Musiker, andächtig, im Takt wippend, in sich versunken. Ihre Musik ist ähnlich aus der Zeit gefallen. Warm, summend, soulig. Dennoch schreiben wir natürlich das Jahr 2019, und im Wizemann hält Michael Kiwanuka eine seiner Soul-Predigten. Der 32-jährige Engländer ist gerade auf Sommertournee, auch um ein wenig Promo für sein im Oktober erscheinendes Album „Kiwanuka“ zu machen. Und um sich schon mal für künftige Taten warmzuspielen.

Ende 2017 war er schon mal in der Stadt, spielte damals beim New Fall Festival in der wenig stimmungsvollen Carl-Benz-Arena; am Freitagabend im fast vollen großen Saal des Wizemann passt das alles schon ein wenig besser, der monumentale Industrie-Gigantismus und sein kräftiger, bewegender Soul. Vier Musiker und die zwei umwerfenden Backgroundsängerinnen Emily Holligan und Simone Richards unterstützen Kiwanuka, diesen Ausnahmekünstler mit der tiefen, durchdringenden, ein wenig kratzigen Stimme, in der so viel Gefühl liegt.

Er zieht sofort in den Bann

Um halb neun kommt er auf die Bühne, nonchalant und unprätentiös, legt sich die Gitarre um und spielt das wunderbar andächtige „One more Night“. Kiwanuka ist einer dieser Künstler, die ihr Publikum sofort in der Hand haben,sondern allein mit dem raren Gut namens Aura. Wenn er singt, singt er nicht nur seine Geschichten, sondern die von allen Anwesenden. Gleich als zweites spielt er mit „You ain‘t the Problem“ den Opener seines kommenden Albums, Song vier des Abends ist schon sein größter Hit, die Outsider-Hymne „Black Man In A White World“.

Als Outsider fühle er sich immer noch, sagte er unserer Zeitung im Gespräch vor dem Auftritt; doch mittlerweile habe er diese Rolle akzeptiert und sich zu eigen gemacht. Es hat ihn weit gebracht, seit der Londoner 2012 sein Sensationsdebüt „Home again“ veröffentlichte. Der Ruhm und die Aufmerksamkeit, die Preise und die vollen Hallen – er kommt heute gut damit klar, genießt es sichtlich, auf der Bühne zu stehen und in seinem unvergleichlich vollen Sound zu versinken. Der ist natürlich auch seiner Band zu verdanken, die mit Gitarre, Bass, Orgel und Schlagzeug einen bewundernswert raumfüllenden Klang erschafft. Sie spielen die Songs länger als auf den Alben, jammen ein wenig, nehmen mal das Tempo raus, erhöhen mit gezielten Akzenten mal den Druck in die Lautstärke. Ein Genuss!

Gänsehautgefühle

Nach den verschlungenen Harmonien von „Money“ beginnt ein vielleicht etwas zu langer Akustikteil, bei dem Kiwanuka erst solo mit seiner Gitarre auf der Bühne steht, später auch am Piano sitzt. Nach und nach kommen seine Musiker wieder auf die Bühne, um insbesondere bei der Zugabe für tosenden Applaus im Publikum zu sorgen. Das Highlight hebt er sich für den Schluss auf: Die durchdringende, melancholische Schönheit von „Love & Hate“ flutet den Saal mit Gänsehaut, von der vollkommen versunkenen Band in ein mitreißendes Crescendo gespielt. Man fragt sich danach im Regen, wie man ein solches Konzert wohl vollkommener spielen kann. Und findet keine Antwort.