Ein buntes Quartier, das Wohnen und Arbeiten vereint – so stellt sich die Stadt das frühere Franklin Village vor. Foto: sinai, MWSP

Auf dem Gelände der früheren US-Siedlung Benjamin-Franklin-Village in Mannheim bleibt kein Stein auf dem andern. Auf der gut 140 Hektar großen Konversionsfläche sollen einmal 8000 Menschen leben und arbeiten. Die ersten neuen Bewohner sind schon da.

Mannheim - Am Tor 4 steht noch die alte überdachte Kontrollstation mit ihren Wachhäuschen, in denen amerikanische Soldaten einst den Zugang zu einer der größten US-Wohnsiedlungen in Deutschland, des Benjamin Franklin Village, geregelt haben. Der letzte GI hat die Siedlung im Mannheimer Norden im September 2012 verlassen, schon Ende des Jahres hatte die Army das Gelände offiziell an den Bund zurückgegeben. Doch erst seit Kurzem ist es auch frei zugänglich; die Schranken nicht nur an Tor 4 sind offen, ein Teil der Zäune, mit denen das Areal bisher hermetisch abgeriegelt war, sind abgebaut.

Viel vom früheren American Way of Life ist allerdings nicht mehr zu sehen: Die Bagger haben in den letzten 18 Monaten ganze Arbeit geleistet. Bis auf 20 sind alle der bisher prägenden, in Reih und Glied ausgerichteten 79 Wohnblocks abgerissen. Die bei den US-Familien und ihren deutschen Gästen gleichermaßen beliebten großzügigen Spiel- und Grillplätze sind verschwunden. Aus dem Friendship-Circle, dem zentralen Eingang der bisherigen Siedlung, ist der „Platz der Freundschaft“ geworden. Die Abraham Lincoln Avenue wurde in Abraham-Lincoln-Allee umbenannt, aus der George Washington Street ist die gleichnamige Straße geworden.

Der Oberbürgermeister verspricht neue Perspektiven

Die ersten modernen Neubaublocks, die auf der ausgedehnten Brachfläche zwischen vereinzelten Bergen von Schutt- und Recyclingmaterial in die Höhe wachsen, lassen bisher nur ahnen, wie es hier einmal aussehen wird. Etwa 4500 neue Wohnungen für 8000 Menschen und 1000 Arbeitsplätze sollen in den nächsten zehn Jahren auf der gut 140 Hektar großen Konversionsfläche entstehen. Dazu ein Kindergarten, eine Grundschule, ein Supermarkt, eine Mobilitätszentrale, Sport- und Kultureinrichtungen samt Grünflächen. „Mit einer Fülle von ambitionierten Angeboten für modernes Wohnen und Arbeiten wird Franklin den Mannheimer/-innen in den nächsten Jahren großartige Perspektiven bieten“, hat Oberbürgermeister Peter Kurz nach Abschluss der ersten Rahmenplanung angekündigt.

Die anfänglichen Sorgen der Verantwortlichen im Rathaus, der neue Stadtteil könnte den lokalen Wohnungsmarkt überfordern, sind Vergangenheit. In nur zwei Jahren wurden seit 2013 die Grundzüge seiner Entwicklung festgelegt. Noch ehe die ersten Bebauungspläne beschlossen waren, hat die Stadt 2015 die ersten der rund 20 Baufelder an Investoren verkauft. Inzwischen laufen die Arbeiten auf Hochtouren, die Versorgungsleitungen sind verlegt, die ersten Wohnblocks sind saniert oder komplett umgebaut. Die Renovierung der kleinen Offizierssiedlung mit ihren Einfamilienhäusern am grünen Rand des Stadtteils ist so gut wie abgeschlossen. Auch hier wird jetzt mit Neubauten nachverdichtet. Die Nachfrage nach den noch unverkauften bestehenden Häusern ist enorm. „Wir fühlen uns auf jeden Fall wie Glückspilze“, sagt Vanessa Gutzler, die mit ihrem Mann und ihrem vor Kurzem geborenen Sohn schon im Herbst aus der Pfalz nach Mannheim gezogen ist. „Es fehlt noch ein Supermarkt, in den man schnell mal rüberlaufen kann“, erzählt sie. 20 Minuten braucht sie zu Fuß zum Einkaufen in den Nachbarstadtteil Käfertal. „Schön ist, dass die neuen Nachbarn überwiegend junge Familien sind – da haben wir gleich eine Krabbelgruppe organisiert.“

Die Konversionsgesellschaft lobt die Entwicklung

Erstes Leben pulsiert auch schon zwischen der früheren „Sportsarena“ und der alten Franklinv Church. Die Arena ist zur Boulderhalle für Kletterer geworden, die kleine Kirche soll nach ihrer Sanierung zu einem ökumenischen oder multireligiösen Zentrum des neuen Stadtteils werden. Dazwischen hat sich der Mannheimer Waldkindergarten niedergelassen, der längst aus allen Nähten platzt, in der ehemaligen Tennishalle sind drei junge Künstler aktiv.

„Alles ins allem sind wir mit der Entwicklung sehr zufrieden. Es geht planmäßig voran“, erklärt Achim Judt, der Geschäftsführer der städtischen Konversionsgesellschaft MWSP. Sie hat das Areal unter 21 Investoren aufgeteilt. „Die Vermarktung läuft sehr gut. Das Zeitfenster ist günstig für unser Projekt, aber das wird sich irgendwann auch wieder schließen“, erzählt er. Mussten wirklich 80 Prozent der alten Gebäude abgerissen werden? „Das war leider nicht so einfach, wie wir dachten. Da ist der Brandschutz, der Lärmschutz, der Klimaschutz – da rechnet Ihnen jeder Investor vor, dass es billiger ist, neu zu bauen als zu sanieren“, erklärt Judt.

Einst eine geschlossene Siedlung für US-Soldaten und ihre Familien

Das Benjamin-Franklin-Village wurde in den 1950er Jahren während des Korea-Krieges als geschlossene Siedlung für die in Mannheim stationierten US-Soldaten und ihre Familien errichtet. Zusammen mit den Kasernen umfasst das gesamt Konversionsareal etwa 300 Hektar und ist damit so groß wie die Mannheimer Innenstadt.

Mit dem alten Village wird das neue Franklin-Quartier nicht viel mehr als den Namen gemein haben. Die Stadt will dort ihren Bürgern neue Perspektiven bieten und neue Bewohner von außen anlocken. Angestrebt werden eine bunte Mischung von Eigentümern und Mietern und vielfältige Wohnformen von Einfamilien- über Reihenhäuser bis zu Wohnblocks und vier Hochhäusern mit kulturellen und sozialen Angeboten.

Für Heizung und Strom setzt man vor allem auf erneuerbare Energien. Zum Einsatz kommen Fotovoltaik, Erdwärme und Stromspeicher sowie Fernwärme aus Biogas und dem Müllheizkraftwerk der Mannheimer MVV. Neben einem Ast der Straßenbahnline 5 soll eine eigene Gesellschaft für umweltgerechte Mobilität sorgen. Auch in der Landeshauptstadt Stuttgart und darum herum sind frühere US-Militärareale in Wohnquartiere umgewandelt worden – von Pattonville in Kornwestheim/Remseck bis zum Burgholzhof in Zuffenhausen. In der Größe mit dem Mannheimer Projekt vergleichbar ist der Scharnhauser Park in Ostfildern: auf dem 140 Hektar großen Gelände leben aktuell 7000 Menschen, in einigen Jahren sollen es 9000 sein.