Boris Palmer reicht in einem 16-seitigen Brief seiner Partei die Hand. Foto: dpa/Sebastian Gollnow

Mit Äußerungen über den Umgang mit alten Menschen in der Corona-Krise hat Boris Palmer die eigene Partei gegen sich aufgebracht. Diesmal will man sein Verhalten nicht dulden. Palmer gibt sich am Abend dennoch wenig einsichtig.

Stuttgart - Dass eine Landesvorstandssitzung so viel Aufmerksamkeit bekommt, wie die der Grünen am Freitagabend ist ungewöhnlich. Wenn man weiß, dass der Fall Boris Palmer auf der Tagesordnung steht, ist es aber nachvollziehbar. Der Tübinger Oberbürgermeister hatte vor einigen Tagen im Frühstücksfernsehen seine Sicht zum Umgang mit Corona-Patienten erklärt. „Wir retten in Deutschland möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären.“ Mit diesem Zitat hat er mal wieder nicht nur Grünen-Mitglieder in Deutschland in Rage gebracht. Sogleich machten sich hochrangige Grünen-Vertreter – überwiegend aus dem Berliner Umfeld – für einen Parteiausschluss stark.

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Insbesondere über diese Ordnungsmaßnahme beriet am Freitagabend der Landesvorstand unter Einbindung des Tübinger Kreisvorstands. Die virtuelle Sitzung des Landesvorstands zog sich bis in den späten Abend hin. Wie man aus Parteikreisen hörte, bestand wohl großer Redebedarf über einen ihrer berühmtesten Köpfe und es herrschte Uneinigkeit, wie mit Palmer zu verfahren sei. In der abschließend verschickten Stellungnahme heißt es: „Der Landesvorstand erwartet, dass Boris Palmer unsere Partei verlässt. Wir behalten uns ein Parteiordnungsverfahren vor.“ Palmer schade der Partei, da sei man sich von Bundes- bis hinab auf Kreisebene einig. Das Auftreten des grünen-Politikers „dient nicht der politischen oder innerparteilichen Debatte, sondern der persönlichen Profilierung“, heißt es in dem Beschluss weiter. Auf seinem Facebook-Kanal erklärte Palmer am Abend, dass er nicht austreten werde.

Der Tübinger Grüne ist auf sich gestellt

Die Satzung der Grünen-Landespartei listet folgende Maßnahmen gegen Parteimitglieder auf: Verwarnungen, Aberkennung der Leitungsfunktion, zeitweiliges Ruhen der Mitgliedsrechte bis zu zwei Jahren, Ausschluss aus der Partei. Palmer hat bei den Grünen kein Amt mehr inne – er ist einfaches Mitglied. Zuvor hatte die Parteispitze Palmer jegliche Unterstützung entzogen. Will er im Jahr 2022 in Tübingen zur Wiederwahl antreten, darf er auf keine Hilfe seines Kreisverbands mehr hoffen.

Am Dienstag hatte der Tübinger OB ein Schreiben an den Landes- und Kreisvorstand verschickt, in dem er aus seiner Sicht zu den Vorwürfen Stellung nimmt. Dieses liegt unserer Zeitung vor. Palmer hält den Antrag auf Parteiausschluss gegen ihn für unbegründet. Er erklärt, er habe nicht gegen grüne Werte verstoßen, sondern „die von mir formulierten Ziele stehen voll und ganz auf dem Boden unseres Grundsatzprogramms“. Der Vorsatz, er wolle seiner Partei schaden, sei daher auszuschließen. Er betont erneut, dass seine Aussage aus dem Zusammenhang gerissen worden sei.

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Er wolle den Schutz der alten und kranken Menschen unbedingt aufrecht erhalten, so Palmer. „Wir müssen den Schutz so gestalten, dass die ungewollten Nebenwirkungen vermieden oder zumindest verringert werden.“ Als Nebenwirkungen der Corona-Beschränkungen sieht der Grünen-Politiker unter anderem die ökonomischen Folgen, aber besonders die Auswirkungen auf ärmere Menschen. „Der daraus entstehende Armutsschock kostet dieses Jahr eine Million Kindern zusätzlich das Leben.“

Palmer reicht der Partei die Hand

Am Ende seiner 16-seitigen Stellungnahme reicht Palmer der Partei die Hand, „denn ich will dafür arbeiten, dass wir gemeinsam erfolgreich sind“ und fordert auf, über den richtigen Umgang mit den Corona-Auswirkungen offen zu diskutieren: „Ob diese Debatte uns als Partei stärkt oder schwächt, hängt davon ab, wie wir sie führen.“ Dass ihm nun ein Parteiaustritt nahe gelegt wird, kann den Ur-Grünen nicht kalt lassen. Zumindest dürfte er – folgt man dem Wortlaut seiner Stellungnahme – nicht mit diesem Vorschlag gerechnet haben.

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Palmer bekommt nach eigenen Angaben Morddrohungen wegen seiner umstrittenen Äußerung zum Umgang mit Corona-Patienten. FDP-Landeschef Michael Theurer verurteilte die Drohungen: „Es gibt keine Entschuldigung oder Rechtfertigung für Morddrohungen.“ Palmer habe sich immerhin entschuldigt.

Trotz der Austritts-Empfehlung der Partei äußerte sich Palmer am Freitagabend und teilte mit, dass er dennoch Mitglied der Grünen bleiben wolle. „Ich bin aus ökologischer Überzeugung Grüner. Deswegen bleibe ich Mitglied“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur am Abend. „Die Aufforderung zum Austritt beruht ausschließlich auf falschen Unterstellungen und enthält keine Argumente“, meinte Palmer.