Die Lage in der Himalaja-Region ist hochexplosiv: Eine indische Vergeltungsaktion hat zu einem Luftkrieg geführt. Was
Bangkok - Stuttgart - Die Stimmung in Pakistans Hauptstadt Islamabad ist angespannt wie lange nicht. „Hier arbeitet seit Tagen niemand mehr“, sagt der 28-jährige Irfan, „wir machen uns große Sorgen. Jetzt sind auch noch alle Flugplätze geschlossen worden.“ Im von Indien kontrollierten Teil Kaschmirs blieben alle Geschäfte geschlossen.
Im Minutentakt berichten die Fernsehsender der beiden Staaten über die rasend schnelle Zuspitzung des Konflikts der beiden Atommächte. Indien fliegt Luftangriffe auf pakistanisches Gebiet, Pakistan schießt indische Flugzeuge ab – die Rivalität der beiden Länder nimmt dramatisch an Schärfe zu. Der Konflikt ist so alt wie die Unabhängigkeit der beiden Staaten. Er entzündet sich – wieder einmal – in Kaschmir. Ein Überblick:
Was ist aktuell passiert?
Indien hatte am Dienstagmorgen nach eigener Darstellung einen Luftangriff auf Extremisten in der pakistanischen Region Balakot nahe der Grenze zu Kaschmir geflogen. Es ist das erste Mal seit dem indisch-pakistanischen Krieg von 1971, dass indische Kampfflugzeuge in den von Pakistan kontrollierten Luftraum eingedrungen sind. Bei dem Angriff seien viele Extremisten getötet worden, hieß es.
Pakistanischen Angaben zufolge starben sechs Zivilisten in Kaschmir durch eine indische Mörsergranate. Das Land drohte daraufhin eine „überraschende Antwort“ an. Am Mittwoch schossen pakistanische Kampfflugzeuge zwei indische Flugzeuge ab. Ein Armeesprecher erklärte, eine der beiden Maschinen sei im pakistanischen Teil Kaschmirs abgestürzt, die andere im indischen Teil. Die Abschüsse der indischen Maschinen seien aber noch über pakistanischem Luftraum erfolgt. Zwei indische Piloten seien von Bodentruppen festgenommen worden, einer liege im Krankenhaus.
Warum ist der Konflikt überhaupt eskaliert?
Anlass für den indischen Angriff war ein Selbstmordanschlag in Kaschmir vor knapp zwei Wochen, bei dem mehr als 40 indische Sicherheitskräfte getötet worden waren. Es war der schwerste Zwischenfall im indisch kontrollierten Teil von Kaschmir, seitdem im Jahr 1989 Unruhen ausbrachen. Zu dem Anschlag bekannte sich die Terrorgruppe Jaish-e-Mohammad, die für zahlreiche Terroranschläge auf indischem Boden verantwortlich gemacht wird, unter anderem für einen Angriff auf das indische Parlament im Jahr 2001. Jaish-e-Mohammed ist offiziell in Pakistan verboten, soll jedoch dort weiter operieren.
Indien wirft dem pakistanischen Geheimdienst und der Armeeführung vor, diese und andere Terrorgruppen zu unterstützen und somit für deren Anschläge mitverantwortlich zu sein.
Warum sind Indien und Pakistan seit Jahrzehnten verfeindet?
Die Feindschaft zwischen Indien und Pakistan geht auf ein Ereignis von 1947 zurück: die Teilung des indischen Subkontinents, der bis dahin Teil des britischen Kolonialreichs war, in zwei unabhängige Staaten. Die zwischen den beiden Ländern gezogene Grenze hatte gewaltsame Auseinandersetzungen mit mehr als einer Million Toten zur Folge. Muslime in Indien flüchteten nach Pakistan und Hindus in Pakistan nach Indien. Die beiden Länder wurden zu Erzfeinden. Viermal kam es zu indisch-pakistanischen Kriegen, der Konflikt um Kaschmir schwelt weiter.
Warum ist der Kaschmir-Konflikt seit Jahrzehnten ungelöst?
So wie andere Fürstentümer musste Kaschmir entscheiden, ob es Indien oder Pakistan beitreten wollte. In dem Fall war das besonders heikel, da der Herrscher hinduistischen Glaubens, die Bevölkerung aber mehrheitlich muslimisch war. Kaschmir blieb zunächst unabhängig – und wurde kurz darauf zur hart umkämpften Provinz. Bis heute beanspruchen sowohl Indien als auch Pakistan das gesamte Gebiet für sich. Beide Länder sehen Kaschmir als essenziellen Bestandteil des eigenen Territoriums – und der eigenen nationalen Identität an.
Wie ist die Situation heute?
Kaschmir ist zweigeteilt, zudem wird ein kleiner Teil von China kontrolliert. Im Süden existiert der indische Bundesstaat Jammu und Kaschmir, der etwa zwei Drittel des Territoriums umfasst. Die Nordgebiete stehen unter pakistanischer Verwaltung. Die Waffenstillstandslinie dazwischen ist ungefähr 750 Kilometer lang und unter UN-Verwaltung. Die vom Sicherheitsrat 1948 geforderte Volksabstimmung über eine Zugehörigkeit Kaschmirs hat bis heute nicht stattgefunden. Weder Indien noch Pakistan wollen das.
Unterstützt Pakistan tatsächlich Terroristen?
Vieles spricht dafür. Der US-Journalist und Pulitzer-Preisträger Steve Coll beschreibt in seinen Büchern detailliert, wie die pakistanische Armee Terroristen unterstützt, nicht nur mit viel Geld. Hinter den Anschlägen in Mumbai im Jahr 2008 mit 174 Toten steckte demnach nur vordergründig die pakistanische Terrorgruppe Lashkar-e-Taiba. Diese wurde wohl unterstützt vom pakistanischen Geheimdienst Inter-Services Intelligence.
Pakistans Militärs haben nie verwunden, dass die einzige indische Region mit überwiegend muslimischer Bevölkerung nicht zu Pakistan gehört. Während der vergangenen Jahrzehnte wuchs die Kaschmir-Frage zu einer existenziellen Bedeutung für die Generäle heran. Sie rechtfertigen ihre immensen Ausgaben und ihre Kontrolle über die Außenpolitik des Landes mit Kaschmir. Die Streitkräfte kontrollieren mit ihren zahlreichen Unternehmen rund 50 Prozent der formellen Wirtschaft des Landes.
Wie trägt Indien zur Eskalation bei?
In der Provinz Kaschmir gilt ein Sonderermächtigungsgesetz für das indische Militär. Unter ihm kam es wiederholt zu außergerichtlichen Tötungen, Vergewaltigungen und Folter durch Angehörige der Sicherheitskräfte. Im November löste Indien das Parlament der Region auf und setzte einen Gouverneur ein. In Indien baut sich seit den Anschlägen vom 14. Februar eine antipakistanische Stimmung auf. Hunderttausende versammelten sich zu Mahnwachen und schrien „Nieder mit Pakistan“. Premier Modi, der im April Wahlen gewinnen möchte, fördert diese Aktionen: Härte gegen Pakistan soll ihm die Wähler zurückbringen, die seinen Hindunationalisten angesichts der miserablen Leistungsbilanz der vergangenen Jahren den Rücken kehrten.
Wie geht es weiter?
Bei rationaler Betrachtung ist keine der Parteien an einer militärischen Konfrontation gelegen. Pakistans Premier Imran Khan meldete sich am Mittwoch in einer kurzen Fernsehansprache zu Wort, nachdem er sich mit den für Nuklearwaffen zuständigen Kommandeuren getroffen hatte. Er hoffe, dass in der Situation noch „bessere Überlegungen“ die Oberhand gewinnen. Große Kriege seien die Folge von Fehleinschätzungen. „Angesichts der Waffen, die wir zur Verfügung haben, dürfen wir uns aber keine Fehleinschätzungen erlauben“, sagte er. „Wir sollten uns zusammensetzen und reden.“ Der indische Premierminister Narendra Modi schweigt, seitdem er am Dienstag seiner Nation versicherte, die „Sicherheit der Inder befinde sich in guten Händen“.