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Ex-Uni-Mitarbeiter Martin Hechinger fühlt sich in dem Kampf von Edeltraud Walla um die Gleichstellung und die gleiche Entlohnung der Frau in der Arbeitswelt als Opfer.

Stuttgart - Der Stachel sitzt tief. Immer noch. Selbst drei Jahre nach seinem Ruhestand schmerzt Martin Hechinger (68) diese Verletzung. Dabei hätte der Abschied nach 32 Jahren von der Universität Stuttgart nicht schöner ausfallen können. Noch heute künden die mit Ehrbezeugungen beschrifteten Fenster im ersten Stock des K1 in der Keplerstraße von diesem Tag. „Es war ein toller Tag“, erinnert er sich mit glasigen Augen, „zusätzlich hat man mein Konterfei vier auf vier Meter groß auf den Boden gespritzt.“

Und doch hat die Kränkung in seiner Seele viel mehr Wut und Unruhe hinterlassen. Jedenfalls mehr, als die großen Gesten der Wertschätzung seiner Stundenten, der Dozenten und Professoren an der Fakultät Architektur und Stadtplanung am Tag seines Ruhestands wieder hätten gut machen können.

Ein TV-Auftritt löste negative Gefühle aus

Um die Dinge zu erklären, kramt er Bilder aus der Vergangenheit hervor, die noch weiter zurückliegen. Es war ein Sonntagabend. Im März 2015 saß er vor dem Fernseher, verdaute gerade den spannenden „Tatort“ und ließ sich von Günther Jauchs Diskussionsrunde im Gasometer in Berlin berieseln. Da tauchte seine Kollegin aus dem Institut, Edeltraud Walla, im Bild auf. „Ich hab gedacht, mich tritt ein Pferd“, sagt Hechinger über den Moment, der ihn bis heute aus der Balance gebracht hat. Denn Edeltraud Walla sagte damals allen Männer, die trotz gleicher Qualifikation mehr verdienten als ihre weiblichen Kollegen, den Kampf an. Sie als Schreinermeisterin an der Uni verdiente nur monatlich 3100 Euro Brutto, wohingegen ihr männlicher Kollege 4400 Euro einstreiche. Besagter männlicher Kollege war Martin Hechinger.

„Die Verdienstlücke zwischen Frauen und Männern ist ein Skandal, der zum Himmel schreit“, skandierte Edeltraud Walla damals, „diese Diskriminierung hat System.“ Doch ein Sprecher der Universität Stuttgart ordnete die Dinge damals so ein: Es liege keine geschlechtsspezifische Diskriminierung vor. Mit anderen Worten: Hechinger war sein Geld wert.

Der Kampf geht weiter

Doch das war kein Balsam auf Martin Hechingers Wunde. Im Gegenteil. „Von diesem Moment an war Frau Walla auf allen Kanälen und Medien, von Flensburg bis Konstanz“, klagt er. Und mit jeder Zeile, mit jedem Beitrag fühlte er sich erniedrigt, falsch und ungerecht behandelt. „Sie hat mich in den Medien zu einem fachlichen Zwerg gemacht“, sagt er. In all ihren Gerichtsprozessen und Kämpfen um Gleichberechtigung oder Frauenrechte sei sie als die kühne Janne D’Arc dargestellt worden, er – wenn auch stets anonym – als Schurke, der von der Unterdrückung der Frau profitiere. Richtig sei vielmehr, so Martin Hechinger, „dass unsere Ausbildungen überhaupt nicht vergleichbar sind. Die ganze Sache hat nichts, aber auch gar nichts damit zu tun, ob man Mann oder Frau ist.“

Edeltraud Walla ist Schreiner-Meisterin. Er sei anerkannter Experte und Buchautor im Architektur-Modellbau. „Am Ende haben mir im Prinzip alle Instanzen Recht gegeben“, sagt er und kramt ein Schriftstück aus seinem dicken „Walla“-Ordner hervor. Es ist der Ausdruck eines „Spiegel“-Artikels, in dem die entscheidende Passage mit gelben Textmarker unterstrichen ist: „Die Lohnklage einer Schreinermeisterin aus Deutschland hat kürzlich in letzter Instanz der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte abgewiesen.“ Edeltraud Walla bestätigt dies und wertet es als Politikum. „Das letzte Urteil hat das Landesarbeitsgericht Stuttgart gesprochen und eine Revision ausgeschlossen“, erzählt sie, „nun will sich mit mir und meiner Sache kein Gericht mehr befassen, weil die Folgen zu heiß wäre, wenn man einen Präzedenzfall schaffte.“

Edeltraud Walla hat damit zwar ihren persönlichen Kampf verloren, doch ihrer Sache einen Dienst erwiesen. „Sie hat in ihrer Position als Beauftragte für Chancengleichheit an der Universität viel bewegt“, heißt es heute noch an der Universität . Als der Fall damals hochgekocht ist, hegte auch der Uni-Sprecher Sympathie für Wallas Anliegen: „Jeder, der an der Universität Stuttgart Verantwortung trägt, ist verpflichtet, dass die Gleichstellung vollumfänglich erfüllt wird. Deshalb danken wir Frau Walla, dass sie in dieser Kultur eine wichtige Rolle spielt.“

Genau so sieht es Edeltraud Walla selbst. „Ich habe in all den Jahren nicht gegen Herrn Hechinger agiert, sondern gegen das System.“ Weiter sagt sie: „Ich will und wollte doch nie Herrn Hechinger etwas wegnehmen. Zudem ist er bis heute ein hoch angesehener Experte an der Uni.“

Martin Hechinger mag das nicht trösten. „Sie gibt sich unter dem Deckmantel der Gleichberechtigung als Kämpferin der Entrechteten, aber das ist sie nicht. Obwohl sie in den ganzen Auseinandersetzungen nie meinen Namen genannt hat, wusste doch jeder, wen sie meint“, zürnt er: „Ich fühle mich für ihre Zwecke instrumentalisiert.“ Warum er in all den Jahren nie die Aussprache mit Edeltraud Walla geschafft habe, kann Martin Hechinger nicht sagen. Ebenso findet er keine Antwort auf die Frage, warum es ihn erst heute, so viele Jahre später, aus der Deckung treibt. „Ich weiß es nicht“, entgegnet er, „aber jedes Mal, wenn ich daran erinnert wurde, den Namen Walla hörte, trieb es mich mit den Jahren immer mehr um.“ Die Sache habe sich aufgebaut. Daher will er nun seiner Seele Luft machen: „Mir geht es um Richtig- und Klarstellung. Ich bin kein Raffzahn. Ich habe mir alles ehrlich und redlich verdient.“