Die Unsicherheit ist groß in der jüdischen Gemeinde im Land. Das Kompetenzzentrum gegen Extremismus will gegensteuern. Foto: dpa

Sie wollen den Anfängen wehren und denen Helfen, die sich in extremistischen Netzen verfangen haben: Die Mitarbeiter des Kompetenzzentrums gegen Extremismus (Konex). Damit hat das Land eine bundesweit einmalige Schnittstelle eingerichtet.

Stuttgart - Vor der Türe brummt die Stadt. Auf der Stuttgarter Königstraße flanieren die Menschen, betrachten Schaufenster, hasten durchs Gewühl. Hinter der Türe soll Menschen, deren Leben aus den Fugen geraten ist, auf ihrem Weg zurück in die Normalität geholfen werden. Das Kompetenzzentrum gegen Extremismus in Baden-Württemberg (Konex) befindet sich im Aufbau. Aber wenn im nächsten Jahr alle 27 Mitarbeiter an Bord sind, widmen sie sich extremistischen Strömungen jedweder Couleur: egal ob es sich um Rechte oder Linke, Islamisten oder Angehörige ausländerextremistischer Gruppierungen, etwa die Osmanen, handelt. Auch die Bekämpfung von Antisemitismus im Land soll mit auf die Agenda, kündigt der Landeskriminaldirektor Klaus Ziwey an.

Konex wird dann Lehrer, Schulsozialarbeiter, Bewährungshelfer oder Mitarbeiter von Jugendämter darin schulen, früh zu erkennen, welcher junge Mensch sich zu radikalisieren droht. Konex will die unterschiedlichen Präventionsprojekte im Land vernetzen. Und Konex will diejenigen beraten, die sich in extremistischen Netzen verfangen haben, sich davon aber lösen wollen.

Alles unter einem Dach: das ist einmalig

Damit ist das Kompetenzzentrum „bundesweit einmalig“, sagt Ziwey, der Leiter des Referats Kriminalitätsbekämpfung, Prävention, Kriminologie im Innenministerium. Es ist die einzige Einrichtung dieser Art, die künftig alle Extremismusbereiche abdeckt, bei der die Beratung durch eigene Mitarbeiter erfolgt und nicht durch externe Berater, wie es etwa in Hessen der Fall ist. Der Vorteil: „Wir können schnell auf Entwicklungen reagieren“, sagt Ziwey.

Konex wurde vor drei Jahren als Kompetenzzentrum zur Koordinierung des Präventionsnetzwerks gegen Extremismus Baden-Württemberg (KPEBW) von der damaligen grün-roten Landesregierung eingerichtet. Die Stelle war Teil der Antiterrorpakete, die nach den Anschlägen von Paris im Januar 2015 auf die Redaktion des Satiremagazins „Charlie Hebdo“ und einen jüdischen Laden geschnürt worden waren. Die damals vier Mitarbeiter, zwei Polizisten, ein Islamwissenschaftler und ein Politologe, sollten sich ausschließlich der Bekämpfung des islamistischen Extremismus’ widmen.

Rechtsextremen Aussteigern „bricht ihr ganzes Leben weg“

Die grün-schwarze Landesregierung verständigte sich in ihren Koalitionsverhandlungen 2016 dann darauf, das Tätigkeitsfeld des KPEBW auf alle Extremismusfelder zu erweitern und die Bemühungen der Landesbehörden in diesen Bereichen in Konex zu bündeln. Die Mitarbeiter, die bisher beim Landeskriminalamt ausstiegswillige Angehörige der rechtsextremen Szene betreut haben, gehören jetzt mit zu Konex.

Die Polizei im Land hat seit 2001 laut LKA etwa 2600 potenzielle Aussteiger angesprochen; gut jeder Fünfte (560) konnte tatsächlich zum Ausstieg bewegt werden. „Das sind jahrelange Betreuungsverhältnisse“, sagt Klaus Ziwey. Aussteiger aus der rechtsextremen Szene hätten häufig erhebliche Schwierigkeiten, wieder Fuß zu fassen: „Denen bricht ihr ganzes Leben weg, die private Bezugsgruppe ist auf einen Schlag verschwunden“, sagt Ziwey.

Expertise aus den unterschiedlichsten Bereichen

Im Oktober wird Konex bereits 19 Mitarbeiter haben. Das Team besteht dann aus Polizisten, aus Islam- oder Religionswissenschaftlern, aus Soziologen und Politologen. „Wir haben hier viel Expertise“, sagt Ziwey. Dabei muss man sich gegenseitig erst einmal auf einen gemeinsamen Wissensstand bringen: Prävention und Beratung im Bereich islamistischer Extremismus ist etwa für Polizisten ein neues Feld.

Der Verfassungsschutz in Baden-Württemberg hat zurzeit etwa 3600 Islamisten im Visier; das sind etwa 100 mehr als noch 2016 – und mehr als zehnmal so viele wie noch 2013. Darunter sind etwa 750 Salafisten, die sich auf 20 Vereinigungen im Land verteilen. Die Verfassungsschützer gehen davon aus, dass 50 Islamisten aus Baden-Württemberg in Syrien oder im Irak für dschihadistische Gruppen gekämpft haben. Anfang August wurde die 22-jährige Nadia K. aus Mannheim im Irak wegen ihrer Mitgliedschaft bei der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) zu lebenslanger Haft verurteilt. Auch ihre Mutter Lamia K. wurde im Irak als IS-Kämpferin erst zum Tode, dann zu lebenslang verurteilt.

Konex spricht gezielt an

„Wir haben bisher viel Grundlagenarbeit geleistet“, sagt Silke Kübler, die Konex-Geschäftsführerin. So wurde ein Grundlagenhandbuch für die Interventions- und Präventionsarbeit im Umgang mit Extremisten erarbeitet. Zudem wurden Schulungen für Personen im Umfeld von sich womöglich radikalisierenden Jugendlichen entwickelt. „Wir bieten hier keine politische Bildung an“, betont Kübler, „uns geht es darum, dass das Umfeld erkennen können muss, wenn junge Menschen extremistische Tendenzen entwickeln.“ Dabei will Konex gezielt Personenkreise ansprechen. Im vorigen Jahr wurden beispielsweise Kampfsporttrainer zu Seminaren eingeladen. Ihnen wurde beigebracht, wann die Alarmglocken schrillen sollten. Kampfsportschulen gelten als beliebtes Rekrutierfeld dschihadistischer Gruppen.

Tatsächlich hatten sich im vergangenen Jahr im Bereich des islamistischen Extremismus exakt 58 Ratssuchende an die Beratungsstelle gewandt. Die meisten von ihnen stammten aus dem Umfeld von Jugendlichen, die sich zu radikalisieren schienen: Schulsozialarbeiter, aber auch Eltern suchten die Unterstützung. Im ersten Halbjahr 2018 kamen nach Küblers Angaben bisher 23 Ratsuchende.

Antisemitismus wird neues Aufgabenfeld

Auch der Bekämpfung von Antisemitismus will sich Konex künftig verstärkt widmen. Dafür „entwickeln wir gerade Schulungsmodule“, sagt Silke Kübler. Die ersten Gespräche mit der Israelitischen Religionsgemeinschaft in Baden zu dem Thema gab es bereits, mit der Israelitischen Religionsgemeinschaft in Württemberg ist ein Termin vereinbart. Die Unsicherheit in der jüdischen Gemeinde ist groß.

„Dabei spielt auch die Zuwanderung eine Rolle“, sagt Landeskriminaldirektor Ziwey. Flüchtlinge aus dem Irak und aus Afghanistan hätten oft anti-israelische Haltungen, die in Antisemitismus mündeten. 2017 hat das Innenministerium 99 Straftaten mit antisemitischem Hintergrund erfasst, vier mehr als 2016. Im ersten Halbjahr 2018 waren es 48. Dabei handle es sich vor allem um Volksverhetzung, so eine Sprecherin. Körperliche Gewalt habe es nicht gegeben. Allerdings wurde im Sommer 2017 gleich zweimal die Fassade der Ulmer Synagoge beschädigt: Solche Attacken zerstören mehr als bloß Mauerwerk.