Rollstuhlfahrer sollen zum Bild der Schule gehören, doch über die notwendigen Umbauten gibt es Differenzen. Foto: dpa

Wenn Schulhäuser behindertengerecht umgebaut werden müssen, übernimmt das Land die Kosten. Doch dieses Versprechen hat einen Haken. Das Land entscheidet erst hinterher, ob ein Umbau nötig und angemessen ist. Dagegen protestieren die Städte.

Stuttgart/Eppelheim - Für die achtjährige Anna (Name geändert) ist es jedes Mal eine Tortur, wenn ihre Klasse Musikunterricht hat. Dann muss die Grundschülerin von ihrem Elektrorollstuhl in einen anderen Rollstuhl umgesetzt werden und mit einer Treppenraupe in den ersten Stock transportiert werden. Die Prozedur ist auch nötig, wenn es zu den Ganztagsangeboten gehen soll. Annas Behinderung lässt das eigentlich nicht zu. Aber es gibt keinen Aufzug in der Friedrich Ebert Schule in Eppelheim.

An der Spitze der Inklusionsbemühungen

Nicht, weil die Stadt im Rhein-Neckarkreis das nicht wollte. Eppelheim ist vielmehr ganz vorne dabei, wenn es um die Umsetzung des Inklusionsgesetzes geht. Anna wurde am 18. September 2015 eingeschult, einen Tag vorher hatte das Schulamt Mannheim die Entscheidung getroffen, dass die Friedrich Ebert Schule Anna aufnehmen soll. Da war das Inklusionsgesetz Baden-Württembergs knapp zwei Monate alt. Darin verspricht das Land, für die inklusionsbedingten Umbaukosten an den Schulhäusern aufzukommen.

Die Stadt wollte zwei Aufzüge einbauen, Kostenpunkt: 525000 Euro. Es war der erste Inklusionsfall nach dem neuen Gesetz. Nur, eine Ausführungsbestimmung gab es damals noch nicht. Man riet den Verantwortlichen abzuwarten. Das kann der Stadt jetzt zum Verhängnis werden.

Land zahlt nach Abschluss der Baumaßnahme

Ein halbes Jahr nach Annas Einschulung, Mitte März 2016, lag erst die Vorschrift vor. Darin ist festgelegt, dass die Städte als Schulträger sofort mit den Umbauten beginnen müssen, wenn die Entscheidung gefallen ist, welche Schule das behinderte Kind besuchen soll. Das Land bezahlt jedoch erst, wenn der Umbau abgeschlossen ist.

Die Basis für die Baumaßnahmen der Stadt ist ein Gutachten, das der Kommunalverband für Jugend und Soziales (KVJS) erstellen soll. Der Verband legt fest, was angemessen und notwendig ist. Allerdings fühlt sich das Land nicht an das Gutachten gebunden. Das ist für Norbert Brugger, den Schuldezernenten des baden-württembergischen Städtetags, „mehr als ein Schönheitsfehler“ in einer Vereinbarung, die er wegen der Kostenübernahme grundsätzlich begrüßt.

Verstoß gegen Vorschrift, die es noch gar nicht gab

Eppelheim könnte gänzlich leer ausgehen. Das hält Hauptamtsleiter Reinhard Röckle nicht für ausgeschlossen. Das Land hält der kurpfälzischen Stadt vor, sie habe gegen die Verwaltungsvorschrift verstoßen, die es jedoch noch gar nicht gab, als die Stadt ihre Aufzüge beantragte. Sie habe nicht unverzüglich mit dem Bau der Aufzüge begonnen, und auch das Gutachten sei von der falschen Stelle in Auftrag gegeben worden, vom Landratsamt und nicht vom Regierungspräsidium, was aber erst im Verlauf des Verfahrens festgelegt wurde.

Im Herbst kommt Anna in die dritte Klasse. Im September berät der Gemeinderat über den Einbau zunächst eines Aufzugs. Ob der noch fertig wird, solange Anna in die Grundschule geht, ist fraglich.

Gerichtsverfahren denkbar

Reinhard Röckle, wird dem Gemeinderat empfehlen gegen das Land zu klagen, sollte der Antrag abgelehnt werden. Er wünscht sich, „dass das Land mit den Schulträgern kooperativ umgeht. Das Land sollte die Städte bei der Inklusion unterstützen und sie nicht mit Formalismen ausbooten“. Konkret fordert der Hauptamtsleiter, „das Land muss die Kostenübernahme frühzeitig erklären“.

Damit ist der Eppelheimer Hauptamtsleiter ganz auf der Linie des baden-württembergischen Städtetags. „Das Gesetz hört sich super an, aber es gibt Probleme in der Praxis“, bilanziert Norbert Brugger nachdem das Inklusionsgesetz zwei Jahre in Kraft ist. Auch Backnang und Albstadt stolperten bereits über die Vorschriften.

Städte verlangen Verlässlichkeit

Das Schulgesetz verspricht: „In den Schulen wird allen Schülern ein barrierefreier und gleichberechtigter Zugang zu Bildung und Erziehung ermöglicht“. In der dazugehörigen Vorschrift heißt es, das Land trage die vollständigen Kosten für Umbauten, sofern diese für die Inklusion erforderlich und angemessen seien.

Das ist dem Städtetag zu vage. Auch dass die Städte erst bauen sollen und das Land nach dem Bau entscheidet, was nötig ist, stößt den Kommunen sauer auf. „Das Land zahlt nachlaufend das was es für nötig hält“, klagt Brugger. Er sieht das Land in der Bringschuld: „Das Land muss mehr tun, als sagen, wir entscheiden am Ende“. Das Land ist für Brugger die Instanz, die kompetent darüber entscheiden kann, was sonderpädagogisch sinnvoll ist. Er verlangt: „die Schulträger brauchen Verlässlichkeit. Das Land muss klar und deutlich vor Beginn der Baumaßnahmen festlegen, was notwendig ist“.

Budgets festgelegt

Die Zurückhaltung des Landes erklärt sich Brugger damit, dass die Regierung bereits Budgets für die inklusionsbedingten Umbauten festgelegt hat. Im ersten Jahr (2015/16) standen 1,8 Millionen Euro für alle derartigen Baumaßnahmen im Land bereit, im vergangenen Schuljahr waren es 2,4 Millionen. Die Budgets für die Schuljahre 17/18 und 18/19 sind mit drei Millionen Euro angegeben.

Weil sich das Land aber festgelegt hat, die Kosten zu übernehmen und sich nicht etwa auf Zuschüsse beschränkt, muss es das Geld zusätzlich über den Haushalt bereitstellen, sollten die kalkulierten Budgets überschritten werden, argumentiert Brugger. Daher rühre die kritische Kostenbetrachtung des Landes, argwöhnt der Kommunalvertreter.

Abgeordneter unzufrieden

Im Fall von Eppelheim hat der örtliche SPD-Abgeordnete Daniel Born an die Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) appelliert, sie solle sich für den Einbau eines Aufzuges in der Schule stark machen. Die Ministerin antwortet „eine garantierte Kostenzusage im Vorfeld kann es nicht geben“. Damit ist Born unzufrieden. Er sagte dieser Zeitung, „die Ministerin verkennt, dass die Kommunen umsetzen, was das Land will.“ Zudem habe es Eppelheim „sehr früh um die Inklusion bemüht“ und es damit „verdient, dass das Land der Stadt helfend und beratend zur Seite steht."