Diese Plakate lockten nur 38 Prozent der Wahlberechtigten zur Urne. Foto: factum/Archiv

Die SPD fordert eine parteiübergreifende Kampagne, um bei der Kommunalwahl mehr Bürger an die Urnen zu bringen. Die Verwaltung lehnt eine Beteiligung allerdings ab. Ein Stadtrat hat daraufhin „eine Superidee“.

Böblingen - Stefan Belz ist im Prinzip von einer Minderheit gewählt worden: Nur 38 Prozent der Wahlberechtigten beteiligten sich im Februar am Urnengang für Böblingens neuen Oberbürgermeister. Das bedeutet, dass 62 Prozent ihre Stimme gar nicht abgegeben haben. Die SPD fordert deshalb eine professionelle Werbekampagne für die Ausübung des Wahlrechts. Denn im nächsten Jahr stehen die Kommunalwahlen an, bei denen ebenfalls die Wahlbeteiligung kontinuierlich gesunken ist. „Das wird Folgen für die lokale Demokratie haben“, befürchtet die Gemeinderatsfraktion der Sozialdemokraten. Aber die Stadtverwaltung hat eine Beteiligung abgelehnt. Sie fürchtet um ihre Neutralität – und warnt vor einer Wahlanfechtung. Dafür sind die Fraktionen auf neue Ideen gekommen.

Ein Bündnis für einen Wahlaufruf

„Es ist deine Stadt – geh wählen!“ lautete der Arbeitstitel für die Initiative. Die im Gemeinderat vertretenen Parteien und andere gesellschaftliche Gruppen, der Jugendgemeinderat, die Kirchen, die Vereine und Wohlfahrtsverbände sollten unter anderem daran beteiligt werden. Mit einem Bündnis, „das sich offensiv diesem Thema annimmt, würde die Stadt Böblingen eine Vorreiterrolle einnehmen, heißt es im Antrag der SPD. Eine Werbeagentur hätte die Kampagne dafür entwerfen und die Stadt das Ganze bezahlen sollen. „Wir begrüßen den Vorstoß“, sagte Stefan Belz, die niedrige Wahlbeteiligung sei sehr bedenklich. „Aber wir wollen uns als Stadt die Finger nicht verbrennen“, erklärte er. Das Thema Wahlanfechtung sei sehr sensibel. Er selbst ist nach wie vor als Amtsverweser und nicht offiziell als Oberbürgermeister tätig, weil auch seine Wahl angefochten wurde.

Als Ersatz für den Antrag der SPD stellt die Verwaltung 3000 Euro zur Verfügung, um die Erstwählerkampagne der Landeszentrale für politische Bildung in Anspruch zu nehmen. „Aber unter den Nichtwählern sind nicht nur Jungwähler“, sagte Jochen Reisch. Die SPD hat sich deshalb schon eine Alternative überlegt: Sie will eine Plakataktion starten, die von Bürgern finanziert wird. „Ich will vom ursprünglichen Vorhaben wenigstens fünf Prozent retten“, sagte er. Dieser Wahlaufruf sollte vor allen anderen Plakaten aufgehängt werden. Allerdings sah der Ordnungsamtsleiter Marcel Launer in diesem Fall ebenfalls die Neutralitätspflicht der Stadt verletzt – was Sven Reisch nicht verstehen konnte.

CDU lehnt Extraplakate ab

Von völliger Ablehnung bis zu recht radikalen Vorschlägen reichten dann die Reaktion der anderen Fraktionen. „Wir brauchen keine Extraplakate“, sagte Hans-Dieter Schühle (CDU), „wir haben genügend, die die Leute wochenlang anschauen müssen.“ Unabhängig von den Blocksätzen auf den Postern der Parteien will Jochen Reisch die Bürger mit den Wahlaufruf-Plakaten „freundlich bitten, zur Wahl zu gehen“, erklärte der SPD-Stadtrat den Unterschied. Die Diskussion inspirierte Frank Hinner (Freie Wähler) zu „einer Superidee“: Weil sich die Bürger sowieso nur ärgern würden, wenn alles zuplakatiert sei, schlug er vor, gar keine Plakate aufzuhängen, bis auf die Aufforderung zur Wahl zu gehen. „Dadurch hätten wir viele gewonnen, die dann zu Wahl gehen“, ist er überzeugt. Damit werde Böblingen sicherlich zum Vorreiter, meinte Frank Hinner noch.

Von der FDP kam der Hinweis, dass junge Menschen sowieso nicht auf Plakate schauten. Barbara Ferkinghoff-Wiese (Grüne) schlug in dem Brainstorming noch vor, dass jede Partei zehn Prozent ihrer Plakat-Plätze für das Wahlaufruf-Poster abtreten könnte. Und ihre Fraktionskollegin Dorothea Bauer forderte, mehr internationale Information in die Bürgerschaft zu bringen. Die Mehrheit der Gemeinderäte folgte am Ende dem Vorschlag der Verwaltung. Ob einer der Vorschläge als Antrag wieder in den Gemeinderat gebracht wird, bleibt abzuwarten. Stefan Belz forderte jedenfalls dazu auf.

Beteiligung hängt von der Wahl ab

Kontinuität
:Wenn es gefühlt keine Wahl gibt, bleiben die Wähler zu Hause. So geschehen beispielsweise bei der OB-Wahl in Sindelfingen im Mai 2017. Bernd Vöhringer trat dabei zum dritten Mal an, er erhielt 93,7 Prozent der Stimmen. Die Wahlbeteiligung betrug 30,3 Prozent. Der alte und neue OB zeigte sich damit zufrieden, immerhin lag sie ein Prozent über dem Wert bei seiner zweiten Wahl acht Jahre zuvor.

Wechsel
: Dass die Wahlbeteiligung in Böblingen mit 38 Prozent als niedrig gilt, lässt sich mit der Wahl erklären, die die Bürger im vergangenen Februar hatten. Der Amtsinhaber Wolfgang Lützner (CDU) ist von Stefan Belz (Grüne) und dem Parteilosen Johannes Söhner herausgefordert worden. Der Wahlkampf war entsprechend hitzig, die Kandidatenvorstellungen waren spannend. Das Ergebnis überraschte dann alle: Der frühere Grünen-Stadtrat Stefan Belz kam auf Anhieb auf 51,3 Prozent der Stimmen. Für Amtsinhaber Lützner votierten nur 28,24 Prozent.