Baggerfahrer Kuhn – Kritiker vermissen einen Baumeister. Foto: Pressefoto Baumann

Stuttgarter Erfolge? Da war zuletzt ein 4:1 gegen den FC Bayern. Ansonsten: reichlich Ärger um die Oper und um die Luft. Ist OB Fritz Kuhn an allem schuld?

Stuttgart - Baustellen, überall Baustellen. Stuttgart war, ist und bleibt auf absehbare Zeit eine Stadt der Baustellen – der sichtbaren wie dem Straßenknoten beim Mineralbad Leuze und der unsichtbaren wie der latenten Unzufriedenheit in Teilen der Bürgerschaft. Mittendrin der grüne Oberbürgermeister, der eifrig versucht, die Stadt weniger unfertig erscheinen zu lassen, dem das jedoch nicht recht gelingen will. Nicht umsonst heißt es Bob und nicht Fritz der Baumeister.

Immerhin: Mindestens zwei der sichtbaren Baustellen werden wohl bis Jahresende fertiggestellt sein: das ehemalige Hotel Silber, das zur Erinnerungsstätte ausgebaut wird, und – mithilfe von Porsche – die neue John-Cranko-Schule über dem Wagenburgtunnel: zwei Ereignisse, die dem Ansehen Stuttgarts und dem des Oberbürgermeisters Fritz Kuhn (62) guttun werden. Er kann es gebrauchen. Denn gegenwärtig läuft nicht allzu viel rund. Ein Beispiel ist der von Kuhn mit ausgewählte Standort für die Interimsoper – das Paketpostamt; die Verfallszeit betrug wenige Wochen. Grund: ein Rechenfehler des Landes und ein Kommunikationsfehler zwischen Stadt und Land. Angesichts der Kosten trat Kuhn den Rückzug an. Jetzt geht die Suche von vorn los – mittels einer „Taskforce“. Man ist nicht viel schlauer als zuvor, dafür um einiges genervter – speziell die Kulturschaffenden.

Überhaupt das Genervtsein: eine Haltung, die einem heute vielfach in der Stadt begegnet – nicht nur bei den ehrenamtlich genervten S-21-Gegnern, die den Fortgang von Stuttgarts größter Baustelle mit Argusaugen verfolgen. Oder bei hauptamtlich Genervten wie dem früheren Theaterintendanten Claus Peymann, der Stuttgart im Interview mit unserer Zeitung „eine beschädigte und menschenfeindliche Stadt“ nannte und „die grüne Administration“ – Ministerpräsident Winfried Kretschmann und OB Kuhn – dafür verantwortlich machte.

Der OB ist neuerdings auch genervt

Auch sonst herrscht in Stuttgart eine große Genervtheit, mit der landestypischen Bruddler-Mentalität allein ist sie nicht zu erklären. Genervt ist man von diesem und jenem; vom Müll und vom Verkehr, vom Feinstaub und vom Feinstaubalarm. Der Oberbürgermeister selbst ist neuerdings auch genervt. Als der vom Fernsehmoderator Wieland Backes angeführte Verein Aufbruch jüngst seine Überlegungen für ein Konzerthaus anstelle des Katharinen-Stifts neben dem sanierungsbedürftigen Littmann-Bau präsentierte, riss Kuhn der Geduldsfaden: „Mit diesen Vorschlägen müsste sich der Verein eher Abriss Stuttgart statt Aufbruch Stuttgart nennen“, zürnte der OB. Das war flott formuliert, kam aber gar nicht gut an, wie wenige Tage später SPD-Fraktionschef Martin Körner bei einer Aufbruch-Versammlung feststellte. „Die Unzufriedenheit mit dem OB war mit den Händen zu greifen.“ Im Kern könne er sie nachvollziehen, sagt Körner, auch wenn man nicht alles beim OB abladen dürfe. „Wir haben Kuhn bei der Wahl 2012 voller Überzeugung unterstützt. Heute sehen wir unsere Erwartungen zunehmend enttäuscht.“ Vor allem beim Wohnungsbau: „Es passiert deutlich zu wenig.“ Und wo bleibt das Positive? Körner nennt das Thema Integration. Hier sei Stuttgart gewohnt vorbildlich.

Was macht Kuhn falsch? CDU-Fraktionschef Alexander Kotz vermisst einen Plan und findet, dass sich Stuttgart und dass Kuhn Stuttgart „unter Wert verkauft“. Dem OB fehle der Mut, „größer zu denken“. Er mache lieber in Klein-Klein: „Fünf neue Bäume in Degerloch, drei neue Bäume in Vaihingen.“ Wenn er durch die Stadt fahre, entdecke er nichts, was er mit Kuhn verbinde, sagt der CDU-Mann. Ihm fehlt ganz einfach der „Wow-Effekt“. Das führt ihn zu dem Urteil: „Man kann nur unzufrieden sein mit dem Stadtoberhaupt.“ Mit Blick auf die OB-Wahl 2020 kündigt er schon mal „einen attraktiven CDU-Kandidaten an“. Sie oder er werde gute Chancen gegen Kuhn haben.

SÖS/Linke-plus-Fraktionschef Rockenbauch nennt Kuhn einen „Verwalter“

Harsch fällt auch die Kritik von Hannes Rockenbauch aus, dem Fraktionschef von SÖS/Linke-plus. Er nennt Kuhn einen „Verwalter“, der schöne Reden halte, die praktische Umsetzung von Vorhaben aber vernachlässige. Rockenbauch spricht von „verlorenen Jahren“ bei Verkehr und Wohnungsbau. „Dass das die Bürger auf die Palme bringt, ist kein Wunder.“

Andreas Winter, der Grünen-Fraktionschef, hält derartige Vorwürfe für ungerecht – auch mit Blick auf die Arbeit des Gemeinderats. Vieles sei in den vergangenen Jahren fertiggestellt worden. Er nennt das Hospitalhofviertel und die Tübinger Straße, wo Autofahrer, Radler und Fußgänger heute gleichberechtigt unterwegs sind. Nicht zu vergessen die Wagenhallen. Gleichzeitig wirbt Winter um Geduld – etwa bei der Neugestaltung des unschönen Marktplatzes: „Man schnippt nicht mal eben mit dem Finger und die Dinge sind da.“

Der OB selbst reagiert mit einer Mischung aus Unaufgeregtheit und Irritation. Er betont seinen Willen zum Dialog – speziell auch mit dem Verein Aufbruch. Dessen Vertreter habe er schon früher ins Rathaus eingeladen, um sich über die Stadtentwicklung auszutauschen. „Das wird so weitergehen, klar ist aber auch, dass der Gemeinderat entscheidet.“ Als „größten Schwachpunkt“ nennt Kuhn den Mangel an günstigen Wohnungen. „Da bin ich selbst unzufrieden.“ Bauland ist knapp. Die grüne Wiese bleibt für ihn tabu . Dafür will den Anteil der sozial geförderten Wohnungen erhöhen. Es könnte dauern, bis aus dem genervten Stuttgart eine entspannte Stadt wird.