Um die deutsche Bäderlandschaft scheint es nicht gut zu stehen. Viele­ Schwimmbäder, also Hallen- und Freibäder, sind von der Schließung bedroht. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Bei den alten Griechen war das Schwimmen eine Kulturtechnik wie Lesen, heute beherrscht nur noch jeder zweite Viertklässler diese Fertigkeit. Das liegt auch daran, dass viele Bäder geschlossen werden, sagen Experten.

Stuttgart - Wellenhallenbad Adelberg: geschlossen seit 2010. Hallenbad Kirchheim/Teck: außer Betrieb seit 2011. Carl-Schmid-Bad in Calw: Schließung 2013. Um die deutsche Bäderlandschaft scheint es nicht gut zu stehen. Viele Schwimmbäder, also Hallen- und Freibäder, sind sanierungsbedürftig. Laut der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) wurde zwischen Juli 2007 und Dezember 2014 in 33 Bädern in Baden-Württemberg der Stöpsel gezogen. Den klammen Kommunen ist der Betrieb schlichtweg zu teuer geworden. Schwimmbäder sind ein Zuschussbetrieb.

Mit jeder Badeanstalt, die dichtmacht, geht aber nicht nur ein Stück Freizeitbeschäftigung, sondern auch ein Stück Kulturgut verloren. Schon die alten Römer planschten in Thermen, auch im antiken Griechenland spielte die Badekultur eine wichtige Rolle. Schwimmen zu lernen war eine Selbstverständlichkeit, eine Kulturtechnik, die dasselbe Ansehen wie Lesen oder Schreiben genoss. „Er kann weder schwimmen noch lesen“ – so bezeichneten die Griechen einen dummen Menschen. Im Lauf der Jahrhunderte verlernte der Mensch diese Fähigkeit. Auch, weil es lange keinen flächendeckenden Schwimmunterricht gab. Bis ins 20. Jahrhundert hinein sind die Dorfchroniken voll von Berichten über Badeunfälle. Als am 28. Juli 1912 die Binzer Seebrücke auf Rügen einstürzte und mehr als ein Dutzend Menschen in der Ostsee ertranken, gründete sich die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft. Erst mit dem Aufkommen der ersten öffentlichen Schwimmbäder im 19. und 20. Jahrhundert – in dieser Zeit wurden etwa das Mineralbad Berg und das Leuze in Stuttgart errichtet – lernte die Stadtbevölkerung das Schwimmen neu.

Die Blütezeit der Frei- und Hallenbäder begann in Deutschland dann in den 60er Jahren. Der wachsende Wohlstand der Wirtschaftswunderjahre ließ den Wunsch nach Sport- und Freizeiteinrichtungen aufkommen. Das Freibad wurde so etwas wie das Symbol der Freizeit. Familien verbrachten die Wochenenden zwischen Beckenrand und Imbissbude, es gab rote Würste und Pommes, freche Jungs heckten Mutproben auf dem Zehnmeterturm aus, manche Liebelei nahm hier ihren Anfang. Das Freibad wurde zum Treffpunkt für Schüler. Wenn es im Sommer hitzefrei gab, war es keine Frage, wohin der Weg führte. Zwischen Schwimmerbecken und Liegewiesen lag auch ein Stück Freiheit. Man konnte sich austoben – vor allem aber gehörte man dazu.

Nichtschwimmer bedrohen Bäder

Öffentliche Bäder sind eine urdemokratische Angelegenheit: Sie sind günstig und stehen allen offen. Doch die Institution, um die uns manches Nachbarland beneidet, ist bedroht. Experten vermuten einen Zusammenhang zwischen den Bäderschließungen und der wachsenden Zahl der Nichtschwimmer. Laut DLRG beherrschen nur noch 50 Prozent der Viertklässler diese Fertigkeit.

Viele der noch bestehenden Bäder können außerdem mit den veränderten Bedürfnissen ihrer Kunden nicht mithalten. Früher reichten rechteckige Becken, Liegewiese und Kiosk. Heute verlangt der Kunde nach Spaßbädern, Familienbädern, Erlebnisbädern und Wellness-Oasen – so nennt das die Werbeindustrie. Die meisten dieser feuchten Konsumtempel sind in privater Trägerschaft.

Im brandenburgischen Krausnick ließ ein malaysischer Investor in einem verlassenen Flugzeughangar den gigantischen Wasserthemenpark Tropical Islands errichten. Unter der 360 Meter langen, 210 Meter breiten und über 100 Meter hohen Kuppel erstreckt sich eine bizarre Landschaft aus Meerwasserpool, beheiztem Sandstrand und Kulissendörfern, die an Bali oder Polynesien erinnern sollen – aber nichts weiter als zusammengezimmerte Holzhütten sind. Man kann hier auch übernachten und eine Woche Tropenurlaub im Spreewald verbringen.

In Titisee-Neustadt gibt es das Badeparadies Schwarzwald, einen Komplex mit 18 Rutschen, einer Palmenoase, Warmwasserbecken mit Poolbar sowie einer „Sauna-Wellnessoase“. 36 Grad Außentemperatur, 33 Grad Wassertemperatur – Karibikgefühl im Hochschwarzwald. Das Bad boomt. Rund 640 000 Besucher verzeichnete die Badeanstalt im vergangenen Jahr. Die Betreiber sind für den Andrang gewappnet. Für rund 30 Millionen Euro soll das Bad um eine weitere „Wassererlebnislandschaft“ erweitert werden.

Badeanstalten sind also nicht grundsätzlich ein Auslaufmodell. Spezialisierte Schwimmbäder können sich behaupten und sogar expandieren. Für Kulturpessimisten allerdings spiegelt sich in dieser Entwicklung mal wieder eine atemlose Spaßgesellschaft, in der jedes Produkt, jede Dienstleistung rund um die Uhr verfügbar sein muss. Die immer auf der Suche nach dem nächsten Kick ist, nach der nächsten Halfpipe, den wildesten Loopings, nach Riesenreifenrutschen, Strömungskanälen, Pools mit Massagedüsen.

Manches Bad geht allerdings ganz andere Wege: Die „Piscine“ im nordfranzösischen Roubaix, 1912 im Art-déco-Stil gebaut, ist inzwischen ein Museum. Wo früher die Arbeiterschaft planschte, stehen heute Kunstwerke. Das Museum ist längst ein Publikumsmagnet – und zeigt, dass eine klamme Kommune wie Roubaix mit einem alten Schwimmbad Geld verdienen kann. Man braucht nur Ideen.