Hier wohnte der entschiedene Nazi-Gegner Eugen Bolz. Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Eugen Bolz hat eine würdige Gedenkstätte verdient. Sein ehemaliges Wohnhaus am Killesberg sollte deshalb erhalten werden, meint Jan Sellner.

Stuttgart - Es gibt wichtigere Dinge. Unzweifelhaft. Vornweg die Frage, wie man die große Zahl an Flüchtlingen menschenwürdig in der Stadt unterbringt. Generell die Wohnungsnot und natürlich die Feinstaub-Problematik. Verglichen damit erscheint die Diskussion um ein Haus, in dem vor 80 Jahren der ehemalige württembergische Staatspräsident Eugen Bolz gewohnt hat, ziemlich nachgeordnet. Warum ist das Thema trotzdem wichtig? Warum sollte die rechtmäßig von einem Wohnungsbauunternehmen erworbene und dem Abriss geweihte Villa Bolz mit vereinten Kräften von Land, Stadt, Katholischer Kirche und der Stuttgarter Zivilgesellschaft erhalten und als Lern- und Gedenkstätte genutzt werden? Dafür gibt es gewichtige Gründe

Die Villa Bolz ist erhaltenswert, weil die Landeshauptstadt mit ihrer historischen Substanz in der Nachkriegszeit oft gedankenverloren umgegangen ist. Das Gebäude verweist auf eine Persönlichkeit, die für Württemberg von herausragender Bedeutung ist – auch wenn das erst spät gesehen wurde. Der Zentrumspolitiker Eugen Bolz verkörpert wie kein Zweiter die wechselvolle Geschichte der Weimarer Republik. Thomas Schnabel, Chef des Hauses der Geschichte, nennt ihn den „Mr. Weimar in Württemberg“. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten beschritt Bolz in beispielhafter Haltung und Konsequenz den aufrechten Gang durch die Tyrannei. Dieser Weg führte ihn am Ende auf das Schafott .

Gleichwohl geht es bei der Erinnerung an Eugen Bolz weniger um Märtyrerverehrung als um die Möglichkeit der demokratischen Selbstvergewisserung. In dem sehenswerten Film „Der Staat gegen Fritz Bauer“, der derzeit in den Kinos läuft, sagt der gebürtige Stuttgarter und spätere hessische Generalstaatsanwalt und Nazi-Jäger Fritz Bauer: „Man darf einer Tyrannei niemals nachgeben. Niemals.“ Bolz steht für diese Form von Unnachgiebigkeit. Seine Person und sein Leben verweisen daher auch auf die unruhige Gegenwart. Er ist aktuell, nicht antiquiert.

Eine Bolz-Gedenkstätte in dem Haus am Killesberg ist wichtig – nicht weil es ein weiteres Museum bräuchte. Erstrebenswert ist vielmehr ein lebendiger Lernort für demokratische politische Bildung – idealerweise im Verbund mit der Stauffenberg-Gedenkstätte im Alten Schloss und dem benachbarten Hotel Silber. Die ursprüngliche historische Umgebung ist dabei durch nichts zu ersetzen. Und die Villa am Kriegsbergturm 44, obwohl baulich stark verändert, ist ein solcher historischer Ort. Dort verbrachte Bolz zwölf Jahre seines Lebens – die meisten davon in innerer Emigration und im Widerstand. Dort traf er sich in seinem Arbeitszimmer mit Carl Friedrich Goerdeler, einem der führenden Hitler-Verschwörer. Und dort wurde er 1944 von der Gestapo verhaftet. Wie aber soll demokratische Kultur wachsen, wenn ihre historischen Bezugspunkte verschwinden?

Daran wird deutlich, dass fehlender Denkmalschutz in diesem Fall kein Kriterium sein kann. Dieter Elsässer, Rektor des Stuttgarter Karls-Gymnasiums, an dem Eugen Bolz 1900 Abitur machte, nennt die Villa treffend einen „Schatz vor Ort“; er kann sich vorstellen, sie zusammen mit anderen Schulen als eine Art „fliegendes Klassenzimmer“ zu nutzen. Auch der CDU-Bundestagsabgeordnete Stefan Kaufmann hat recht, der von einem „Denkmal der Demokratie“ spricht. So etwas reißt man nicht ab, sondern pflegt es. Auch wenn das nicht billig wird, weil die Planungen für einen Neubau weit fortgeschritten sind. Würden an Gedenkstätten jedoch allein betriebswirtschaftliche Maßstäbe angelegt, gäbe es vermutlich keine einzige davon. Kultur – auch die demokratische Kultur – kostet. Ohne diese Kultur ist vielleicht mehr Geld in der Kasse, das Land wäre jedoch in anderer Hinsicht verarmt. Eugen Bolz jedenfalls bedeutet für dieses Land einen Reichtum.

j.sellner@stn.zgs.de