Der türkische Premierminister Recep Tayyip Erdogan und seine Frau Emine Erdogan – die AKP hat Erdogan als Kandidat für die türkische Präsidentenwahl im August aufgestellt. Foto: dpa

Die Kandidatur des türkischen Ministerpräsidenten für das Präsidentenamt ist nicht ohne Risiko, findet Politik-Ressortleiter Wolfgang Molitor. Sein Sieg muss bereits im ersten Wahlgang durch sein, nur dann dürfte sich der Premier selbstbewusst als Staatsoberhaupt aller Türken präsentieren.

So ganz hat Recep Tayyip Erdogan zuletzt dem Braten doch nicht getraut. Fast bis zum letzten Tag der Anmeldefrist hat der türkische Premierminister gewartet, bis er seine seit langem als sicher geltende Kandidatur für das Amt des Staatspräsidenten erklärte.

Denn ganz ohne Risiko ist Erdogans Bewerbung nicht – auch wenn niemand in der Türkei ernsthaft damit rechnet, dass er sein Ziel nicht erreichen könnte. Aber der zunehmend auch im eigenen Land umstrittene Premierminister – dem nach den Statuten seiner islamisch-konservativen AK-Partei eine weitere Amtszeit als Regierungschef verwehrt ist – legt die Latte beim ersten Wahlgang am 10. August für sich hoch.

Nach den zahlreichen und anhaltenden Unruhen und Massenprotesten gegen die Korruption in seiner Regierung, gegen seine selbstherrlichen Auftritte, die brutale Räumung des Istanbuler Gezi-Parks und zynische Nachrufe auf die Toten der Bergwerkskatastrophe in Soma will Erdogan es wissen: Sein Sieg muss bereits im ersten Wahlgang unter Dach und Fach sein, nur dann dürfte sich der aufbrausende Premier selbstbewusst als Staatsoberhaupt aller Türken präsentieren.

Nur dann könnte es ihm gelingen, der Gefahr aus dem Weg zu gehen, sein neues Amt als ein weiteres provokantes Signal an große Teile der Bevölkerung – etwa Aleviten und säkulare Moslems – zu verstehen. Die Zeichen für den erhofften Wahltriumph stehen offenbar so schlecht nicht. Die regierungsnahe Zeitung „Sabah“ berichtet von einer Umfrage des Instituts Genar, wonach Erdogan auf 55,2 Prozent kommen könnte. Eine Umfrage von MAK Consultancy sieht Erdogan sogar mit 56,1 Prozent in Führung.

Das scheint durchaus realistisch. Erdogans ländliche Bastionen wanken nicht, die unbestreitbaren wirtschaftlichen Erfolge seiner zehnjährigen Regierungszeit wiegen in breiten Bevölkerungsteilen so manche politische Irritation auf. Erdogan trifft für die meisten Türken noch immer den richtigen Ton, wenn er sich mit nationaler Wichtigtuerei aufplustert, sich überall von ausländischen Verschwörern umzingelt sieht und polizeiliche Gewalt gegenüber Demonstranten ebenso politisch als stolze türkische Selbstbehauptung vermarktet wie Eingriffe ins Internet oder in die Presse- und Meinungsfreiheit.

Erdogan weiß: Am 10. August kann er nur an sich selbst scheitern. Dem gemeinsamen Kandidaten der beiden größten Oppositionsparteien, Ekmeleddin Ihsanoglu, werden bestenfalls um die 35 Prozent zugetraut – obwohl auch der 70-Jährige, von 2005 bis 2013 Generalsekretär der Organisation der Islamischen Konferenz, im islamischen Umfeld hohe Reputation genießt und politisch durchaus große Erfahrung besitzt.

Doch auch der Zusammenschluss der Opposition wird Erdogan nicht in Verlegenheit bringen, solange es ihm im Wahlkampf gelingt, die Rolle des eifernden Regierungschefs mit der des vereinenden Staatsoberhauptes zu tauschen. Also hat er bereits angekündigt, den Friedensprozess mit dem Kurden voranzutreiben sowie die Wirtschaft der Türkei weiter zu stärken. Auch will er gegen parallele Strukturen im Staatsapparat kämpfen, die er für Korruptionsvorwürfe verantwortlich macht. Erdogans Anspruch, die Befugnisse des Präsidenten weit mehr zu nutzen als Amtsinhaber Abdullah Gül, könnte aber bis zum Wahltag noch für die ein oder andere Aufregung sorgen.

Mit einem Präsidenten Erdogan wird in der Türkei künftig ein anderer Wind wehen. In Zeiten, wo Bürgerkriege im Irak und in Syrien gerade die politische Berechenbarkeit und Standfestigkeit der Türkei brauchen, ist das eine wenig beruhigende Perspektive.

w.molitor@stn.zgs.de