Andreas Stoch will die Zerstrittenheit der Landes-SPD beseitigen. Foto: dpa

Andreas Stoch soll die baden-württembergische SPD endlich zur Geschlossenheit führen. Doch der Fraktionschef tritt den Landesvorsitz mit der Hypothek an, zunächst nur die halbe Basis hinter sich zu haben, meint Matthias Schiermeyer.

Sindelfingen - Sie kommen nicht so häufig vor: denkwürdige Parteitage, die wie ein Urknall wirken – wo alles auseinander zu fliegen droht und bei denen man sich nach erbitterter Auseinandersetzung hinter einem Minimalkonsens versammelt. Die Linke hatte so einen Bundeskongress vor sechs Jahren in Göttingen. Dort hat sie sich gerade noch zusammengerauft. Heute sind die damals gewählten Vorsitzenden noch immer im Amt, aber die Gräben wurden nie geschlossen.

Können Genossen nur noch Streit? Diese provokante Frage warf zeitweilig auch der Landesparteitag der Südwest-SPD auf, auf dem die Sozialdemokraten den Gipfel ihrer Selbstbeschäftigung erreichten. Nichts wurde in Sindelfingen so sehr beschworen wie die Geschlossenheit, die Sehnsucht nach Einigkeit und Versöhnung drang aus fast jedem Wortbeitrag. Allerdings ging sie nicht selten einher mit neuen Vorwürfen an die innerparteilichen Gegner – beziehungsweise an diejenigen Funktionäre, die für Gegner gehalten werden.

Stoch muss jetzt Führungsstärke zeigen

Praktisch alle Hauptverantwortlichen hatten im Vorfeld zur Instabilität beigetragen: Leni Breymaier, die vielleicht zu früh hingeschmissen hat – Lars Castellucci, der ungeachtet seiner Niederlage beim Mitgliedervotum für den Vorsitz kandidierte – Andreas Stoch, der erst in letzter Minute auf den Bewerberzug aufsprang. Der Fraktionschef ging aus diesem Invaliden-Rennen nun als derjenige hervor, der die Landes-SPD vor der Bedeutungslosigkeit bewahren soll.

Dies konnte nach dem Verlauf der vergangenen Tage nicht überraschen, weil sich ein großer Wunsch nach Orientierung herauskristallisiert hatte. Den kann offenkundig nur Stoch erfüllen. Gemeinsam mit seinem Generalsekretär Sascha Binder wird er die divergierenden Machtzentren nun zusammenführen. Das bedeutet: Welche Melodie die SPD spielt, entscheidet künftig die Fraktion. Darunter könnte die Vielfalt der Debatten leiden – doch genau dies auch notwendig, weil die diversen Strömungen einen ungehemmten Pluralismus gepflegt haben und am Ende ins Stimmenwirrwarr verfallen sind. Stoch ist die Durchsetzungsstärke zuzutrauen, die eine zur Teamarbeit neigende Leni Breymaier nicht zeigen konnte.

Doch er startet mit einer Hypothek. Sein Wahlergebnis ist genauso ein Ausdruck der Spaltung, wie es schon der Ausgang des Mitgliedervotums war. Es ist eine Ironie der Ereignisse, dass er nur hauchdünn über die absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen kam, die Breymaier als Gewinnerin des Basisentscheids noch knapp verfehlt hatte. Daraus muss Stoch nun notgedrungen die Legitimation ableiten, die seine Vorgängerin nicht geltend machen wollte. Man mag sich gar nicht ausmalen, wenn es in Sindelfingen nur ein paar Enthaltungen mehr gewesen wären.

Die Akzeptanz von Parteien steht auf dem Spiel

Stochs Kontrahent Lars Castellucci hat trotz allen Gegenwinds ein sehr achtbares Ergebnis erzielt. Er hat sich als Versöhner präsentiert, und fast die Hälfte der Delegierten folgte ihm. Wäre er etwas konkreter geworden bei seiner Bewerbungsrede, hätte er vielleicht sogar gewonnen. Der Ausgang verpflichtet ihn nun dazu, zu der vielbeschworenen Geschlossenheit beizutragen, die er selbst zur Priorität erhoben hat.

Aber kann das wirklich gehen: quasi alles auf null stellen? Es steht viel auf dem Spiel: Das ausgeprägte Lagerdenken führt nicht nur die SPD ins Aus – es lässt auch die Menschen außerhalb der sozialdemokratischen Parallelwelt das ganze demokratische System in Frage stellen. Eine Garantie, dass der Parteitag endlich zur Besinnung der Genossen führt, gibt es – siehe oben – freilich nicht.