VFB-Chef Bernd Wahler, so belegen seine Reden, hat die Schwere des Falles erkannt. Zu messen allerdings ist er an seinen Taten. Foto: dpa

Zum Rückrundenstart in der Bundesliga ist der FC Bayern das Maß aller Dinge: Der VfB muss neue Wege gehen, sagt unser Kommentator Gunter Barner

Stuttgart - Kurz vor dem Anpfiff zur Bundesliga-Rückrunde ist es kein Fehler, zwischen Utopie und Wirklichkeit noch einmal scharf zu trennen. Denn der Wunschtraum von der wiederkehrenden Spannung im Kampf um die Meisterschaft ist in etwa so realistisch wie der Versuch, auf einem Haflinger nach der Goldenen Peitsche von Iffezheim zu greifen. Der FC Bayern München ist seinen Mitstreitern weit mehr als die sieben Punkte voraus, die ihn zur Halbzeit vom Tabellenzweiten aus Leverkusen trennen.

Die Hoeneß-Familie in Sepplhosen hat sich bereits konsequent professionalisiert, als sie woanders immer nur davon sprachen. Inzwischen verfügt der Branchenführer über die erste Garde der darstellenden Künstler in diesem Zweig der Unterhaltungsindustrie. Gefördert von einer hypermodernen Infrastruktur und gefordert von einem auf Effizienz getrimmten Leistungsumfeld erntet die Bayern AG die Früchte ihrer Saat: begehrte Titel, an Verehrung grenzende Bewunderung ihrer Fans – und beruhigende 285 Millionen Euro auf dem Festgeldkonto.

Angesichts dieser (be)drückenden Überlegenheit auf die Umverteilung der Fernseh- und Vermarktungseinnahmen zulasten des FC Bayern zu pochen ist der billige Versuch der Konkurrenten, das eigene Versagen zu vertuschen. Streng genommen nutzt der einfallslose Rest der Liga seit über einem Jahrzehnt die üblichen Erfolgsmodelle, die bestenfalls kurzfristigen Erfolg ermöglichen, langfristig aber in die Schuldenfalle führen. Ausnahmen wie das aus der wirtschaftlichen Not wiedergeborene Borussia Dortmund oder der kreativ agierende SC Freiburg bestätigen die Regel.

Ansätze eines neuen VfB-Jugendstils

Immer noch zögernd begreifen Traditionsclubs wie Hertha BSC, der Hamburger SV oder auch der VfB Stuttgart, dass es kein brauchbares Geschäftsmodell ist, im Transferbereich schlechtem Geld reflexartig gutes hinterherzuwerfen. Das zeigt gerade auch der Weg des VfB, der in den sieben Jahren seit seinem Meistertitel die ihm zugeflogene Marke der Frische und Jugendlichkeit emotional komplett zerstört hat. Phasenweise wirkt der Club so sexy wie abgekaute Fingernägel. Noch dazu lastet auf der Bilanz ein dickes Minus. Die Gründe sind kein Geheimnis.

Die innere Struktur des Fußball-Unternehmens blieb trotz wachsender Anforderungen seit einer Ewigkeit in Stein gemeißelt. Beharrungsvermögen und Uneinsichtigkeit der Besitzstandswahrer in der Führungsetage verhinderte notwendige Umbauten. Und anstatt eine Streit- und Diskussionskultur zu entwickeln, die vom Platzwart bis zum Trainer gewinnbringende Entfaltungsmöglichkeiten bietet, baut der VfB bis heute auf innere Hierarchien, die mehr dem Machterhalt und Wohlfühlfaktor einzelner Personen als dem wirtschaftlichen und sportlichen Erfolg des Vereins dienen. Wären da nicht Ansätze eines neuen Jugendstils und der strikt in die Zukunft denkende Präsident Bernd Wahler, böte der Verein für Bewegungsspiele 1893 im Jahr sieben nach der Meisterschaft kaum mehr Profil als ein abgefahrener Autoreifen. Quälend fürs Publikum, spaßfrei für jene, die täglich mit dem Club zu tun haben, und ohne Vision für alle, die den Verein noch immer im Herzen tragen. Bernd Wahler, so belegen seine Reden, hat die Schwere des Falles erkannt. Zu messen allerdings ist er an seinen Taten.

25 Punkte trennen den VfB Stuttgart zum Rückrundenstart vom FC Bayern München, dem Maß der Dinge. Diesen Abstand mehr als Herausforderung zu begreifen denn als Bürde, wäre für den VfB Stuttgart ein sinnvoller Treibsatz zur Selbsterneuerung. Wenigstens diese Utopie sollte er seinen Fans nicht nehmen.ue VfB-App -
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