Erfolgreiche Aufholjagd: Lange lag die SPD mit ihrem Spitzenkandidaten Stephan Weil hinter der CDU, doch am Wahltag landet sie klar auf Platz eins in Niedersachsen. Foto: Getty Images Europe

Der überraschend deutliche Sieg bei der Landtagswahl in Niedersachsen zeigt, dass man die Sozialdemokraten noch nicht abschreiben sollte, kommentiert Politikredakteur Rainer Pörtner.

Stuttgart - Bis zum 15. Oktober war 2017 für die SPD ein Annus horribilis – ein schreckliches Jahr. Viermal hintereinander wurden die Sozialdemokraten vom Wähler abgestraft. Im Saarland, in Schleswig-Holstein, in Nordrhein-Westfalen und schließlich im Bund. Mit jeder neuen Wahl schmerzten die Niederlagen mehr.

Jedes Mal fanden die Christdemokraten bündniswillige Partner. In Düsseldorf regiert nun Schwarz-Gelb, in Kiel eine Jamaikakoalition – inzwischen gilt dies als erfolgreicher Probelauf für den Bund. In Saarbrücken zeigte sich selbst die SPD bereit zur Koalition unter Unionsführung. Nach der Bundestagswahl jedoch war das Maß voll, es herrschte nur noch Frust bei den Sozialdemokraten. Sie erklärten sich im Bund für aktuell regierungsunwillig und zur führenden Opposition der Republik.

Nun wird die SPD (wer hätte, mal ehrlich, darauf vor wenigen Wochen einen höheren Wettbetrag gesetzt?) in Niedersachsen stärkste Partei. Ihr norddeutsch-bedächtiger Spitzenmann Stephan Weil hat gute Chancen, Ministerpräsident zu bleiben. Im Berliner Willy-Brandt-Haus darf aufgeatmet werden. Eine weitere Niederlage hätte die Frage, ob Martin Schulz Parteichef bleiben kann, noch drängender als ohnehin gestellt. Der gescheiterte Kanzlerkandidat bekommt eine Verschnaufpause.

Für Merkel wird es noch ungemütlicher

Anders als im Bund existieren zwischen Lüneburg und Lingen noch zwei Volksparteien, die diesen Namen verdienen. SPD und CDU liefern sich hier regelmäßig Kopf-an-Kopf-Rennen, die es auf Bundesebene seit vielen Jahren nicht mehr gibt. Bei der Bundestagswahl führte die fehlende Machtoption der SPD dazu, dass viele Wähler ihre Stimme einer kleineren Partei gaben. Denn es war klar, dass Angela Merkel Regierungschefin bleiben würde. In Niedersachsen trat der gegenteilige Effekt ein: Weil das Duell von Weil mit dem Herausforderer Bernd Althusmann so spannend verlief, blieben die kleinen Parteien klein – auch die AfD, die in Niedersachsen ohnehin weniger Rückhalt findet als anderswo.

Für Merkel wird es dennoch ungemütlich. Zum ersten Mal seit 1998 liegt die CDU in Niedersachsen hinter der SPD. Der Wahlkampf wurde stark von landespolitischen Themen bestimmt. Aber Merkels dickfelliger Umgang mit dem 32,9-Prozent-Schlag bei der Bundestagswahl dürfte dazu beigetragen haben, dass Weil dem Konkurrenten Althusmann auf den letzten Metern einen sicher geglaubten Sieg wegschnappen konnte. Die mühsam unterdrückte Debatte in der CDU, welchen politischen Kurs die Partei einschlagen soll und wie lange Merkel die beste Führungskraft ist, könnte nun offen ausbrechen.

Die Regierungsbildung wird schwierig

Wie Merkel kann Althusmann den Weg nach Jamaika suchen, um doch noch an die Macht zu kommen. Die Wahlzahlen ergeben eine rechnerische Mehrheit für Schwarz-Grün-Gelb. Aber auch hier ist Hannover nicht Berlin. Es gibt andere zahlenmäßig mögliche Paarungen unter SPD-Führung und das Verhältnis von CDU, FDP und Grünen ist weit weniger entspannt als auf Bundesebene.

Das macht es auch für Weil schwierig, eine tragfähige Regierungscombo zusammenzustellen. Am Wahlabend hoffte er lange, dass es am Ende für Rot-Grün reichen würde. Vergebens. Eine Ampelkoalition hätte auf jeden Fall genug Stimmen im Landtag, aber die FDP will nicht. Bleibt die Option große Koalition. Sie ist schwieriger als anderswo, seit den 1960er Jahren hat es eine solche Regierung in Hannover nicht gegeben. Die harte Rivalität von SPD und CDU in Niedersachsen wird auch von Weil und Althusmann gelebt, die sich ganz offensichtlich nicht leiden können.

Das laute Nein der SPD zu einer Neuauflage der schwarz-roten Bundesregierung hatte Weil auf den letzten Metern seines Wahlkampfs zusätzlichen Schub gegeben. Er wird deshalb viel versuchen, eine große Koalition in Hannover zu vermeiden