VW-Chef Matthias Müller muss für VW den Sündenbock machen Foto: dpa

Zoff mit den Behörden, eine Klage des US-Justizministeriums – wer geglaubt hatte, VW habe in der Diesel-Affäre das Schlimmste hinter sich, sieht sich getäuscht.

Stuttgart - Für den krisengeschüttelten VW-Konzern konnte das neue Jahr im Grunde nur besser beginnen, als das alte geendet hat. Doch es kam ganz anders, und das ist für den Industrieriesen alarmierend. In den ersten beiden Wochen des neuen Jahres musste VW bereits Hiobsbotschaften in Serie hinnehmen: Das US-Justizministerium reicht eine Zivilklage ein und fordert unter dem Strich eine Strafe in zweistelliger Milliardenhöhe. Ein Rückrufplan des Konzerns wird gleich von zwei wichtigen Umweltbehörden entrüstet zurückgewiesen. Wenig später wird ein nachgebesserter Plan ebenfalls abgelehnt. Und als wäre das nicht genug, erweckt Konzernchef Matthias Müller in einem Radiointerview den fatalen Eindruck, all seine bisherigen Entschuldigungen an die US-Öffentlichkeit seien nur Lippenbekenntnisse gewesen. Das kostet weiteres Vertrauen, von dem VW ohnehin nur noch wenig hat.

Würden Behörden und Justiz in den USA die volle Härte des Gesetzes anwenden, könnten sie VW in der Existenz bedrohen. Fehlgriffe in der Steilwand sollten daher die Ausnahme bleiben. Umso erstaunlicher ist es, wie schwer sich Volkswagen auch nach mehreren Krisenmonaten noch tut, im Umgang mit den US-Behörden eine Linie zu finden und durchzuhalten – und einen Gesprächsfaden zu denjenigen zu knüpfen, die über Wohl und Wehe entscheiden werden. In schroffem Ton weisen die Umweltbehörden die Vorschläge aus Wolfsburg zurück – sie lassen den Konzern spüren, dass er nicht in der Position ist, zu feilschen oder Bedingungen zu stellen.

In den vergangenen Jahren war VW der Inbegriff eines erfolgreichen Autoherstellers, der unaufhaltsam an die Weltspitze marschiert. Entsprechend groß war die Fallhöhe, als herauskam, dass VW bei rund elf Millionen Fahrzeugen Abgasmessungen manipuliert hat, indem eine Software immer dann für günstige Werte sorgte, wenn das Auto auf einem Prüfstand war. Vom Klassenbesten zum Außenseiter zu werden ist für ein Unternehmen und seine Mitarbeiter nicht nur wirtschaftlich hart, sondern auch mental. Doch dem Konzern bleibt nichts anderes übrig, als die Rolle anzunehmen, die ihm seine ehemalige Führung eingebrockt hat.

Für Müller ist der Rollenwechsel besonders abrupt

Ein besonders abrupter Rollenwechsel wird Müller selbst abverlangt, der fast von einem Tag auf den anderen vom stolzen Rekordjäger zum obersten Sündenbock wurde. Doch so verständlich es ist, dass er sich damit schwertut – wenn nicht einmal ihm der Rollenwechsel gelingt, wird er schwerlich ein Umsteuern im Konzern bewirken können. Dabei geht es nicht darum, sich vor den USA in den Staub zu werfen – sehr wohl aber darum, auf überzeugende Weise klarzumachen, dass sich so etwas niemals wiederholen kann und dass man ohne Wenn und Aber für den Schaden aufkommen wird. Zwei Anläufe sind bereits gescheitert, und viele Versuche wird es nicht mehr geben.

Doch immerhin – einen schwachen Trost gibt es für Müller selbst in dieser verfahrenen Lage: Er ist nicht der Einzige, der bei Fragen von konzernweiter Bedeutung schon gepatzt hat. Im Jahr 2000 gab bereits der damalige DaimlerChrysler-Chef Jürgen Schrempp der „Financial Times“ ein folgenreiches Interview. Er sei ein „Schachspieler“, der nur so getan habe, als wolle er mit Chrysler gleichberechtigt fusionieren, plauderte er. Ein US-Großinvestor klagte deshalb auf Schadenersatz in Milliardenhöhe. Sieben Jahre lang schleppte sich das Verfahren hin – am Ende wurde Daimler freigesprochen. Das lässt erahnen, wie lang der Weg ist, den VW noch vor sich hat – und wie offen der Ausgang.