Verdächtigter Fifa-Funktionär Marin, Blatter (re.): Schwere Zeiten Foto: dpa

Chaos und Schock im internationalen Fußball: Die US-Justiz ermittelt gegen 14 Funktionäre des Welt-Fußballverbands (Fifa). „Das System um den mächtigen Präsidenten Joseph S. Blatter braucht Transparenz, unabhängige Kontrolle und den Rücktritt des noch amtierenden Präsidenten – dem Fußball zuliebe“, schreibt unser Sportchef Gunter Barner im Leitartikel zum Korruptionsskandal bei der Fifa.

Stuttgart - Fußballer wissen: Ein Spiel dauert 90 Minuten. Und zu Ende ist es erst dann, wenn der Schiedsrichter abpfeift. Jetzt grätschte die Justiz dazwischen, durchsuchte die Züricher Fifa-Zentrale und verhaftete sieben Topfunktionäre, gegen sieben weitere wird ermittelt – und das ausgerechnet in der Nachspielzeit. Denn eigentlich war ja schon alles entschieden: Zwar berannten die Gegner des Fifa-Teams unentwegt das Tor von Joseph S. Blatter (79), aber die Nummer eins des Welt-Fußballverbands (Fifa) hielt seinen Kasten erstaunlich lange sauber. Nun hat er doch noch einen Treffer kassiert. Ein Eigentor zwar, aber eines, das zu den traurigsten Niederlagen führte, die der Welt-Fußball je zu vermelden hatte. Die obersten Wächter eines wunderbaren Spiels stehen im dringenden Verdacht, Teil einer Mafia zu sein, die sich seit zwei Jahrzehnten Bestechungsgelder in die Taschen stopft.

Aber auch in dieser schweren Stunde bleibt sich die Fifa treu: Der Kongress am Hof von König Sepp tanzt vorerst weiter – und er wählt. An diesem Freitag schon. Wenn nicht alles täuscht, wird Blatter dann gegen 18.45 Uhr in Zürich seine fünfte Amtszeit verkünden und fromm wie der Papst versprechen, dass alles wieder gut wird in der weltumspannenden Familie des Fußballs. Letzteres aber scheint, nach allem was bisher an die Öffentlichkeit drang, so realistisch zu sein wie der WM-Titel für Togo. Zu erdrückend sind die Belege, die Medien und staatliche Ermittler in den vergangenen Jahren zusammengetragen haben. Weil die hauseigene Ethik-Kommission der Fifa zu den zweifelhaften WM-Vergaben nach Russland 2018 und Katar 2022 aber nicht mehr ans Tageslicht befördern wollte als kleinere Tricksereien ohne rechtliche Relevanz, machen jetzt die staatlichen Behörden den Job, der zutiefst die Aufgabe des Weltverbands gewesen wäre.

Das ist der eigentliche Skandal an dem Erdbeben, das jetzt den Weltfußball erschüttert. Denn wieder einmal war der Sport nicht in der Lage, seine eigenen Regeln und Werte zu überwachen: Moral, Integrität, Anstand, Loyalität, Solidarität und Fairness. Zwar steht Joseph S. Blatter (noch) nicht im Fokus der Ermittler, aber wer will ihm glauben, dass er von all den Machenschaften nichts ahnte? Er ist als Fifa-Präsident zumindest mitverantwortlich für die ethische Talfahrt des Verbands. Viel zu lange verschloss er die Augen davor, was sich in den Netzwerken der Korruption um ihn herum abspielte.

Jetzt steht die Fifa am Tiefpunkt ihrer Glaubwürdigkeit. Wenn es dumm läuft, müssen die Copa America sowie die Fußball-Weltmeisterschaften in Russland und Katar neu vergeben werden. Und es könnten noch mehr Funktionäre als bisher im Knast landen. Wichtige Sponsoren haben schon seit längerem signalisiert, sich abwenden zu wollen, sollten sich die Korruptionsvorwürfe bestätigen. Schaden würde das vor allem den Fußballverbänden in Asien und Afrika, die vom Blatter-System des kalkulierten Gebens und Nehmens am meisten profitieren. So mehrte der Schweizer machiavellistisch seine Macht und sicherte sich die Stimmen auch für eine fünfte Amtszeit.

Die Fifa erlebt die schlimmste Krise seit ihrer Gründung 1904. Lindern kann sie den Vertrauensverlust nur mit einem radikalen Neuanfang und unvorbelasteten Funktionären. Was ebenso wichtig ist: Der Welt-Fußballverband muss sein System der Geldverteilung an die Nationalverbände strikt an Projekten orientieren und ebenso transparent machen wie die Stimmenverteilung bei der Vergabe von WM-Turnieren. Vom Sport unabhängige Organisationen sollten die Fifa-Budgets überwachen. Und König Sepp muss abdanken. Dem Fußball zuliebe.