Neulich auf dem Amt: „Ich bin nicht dafür zuständig Ihnen zu sagen, wer dafür zuständig ist Ihnen zu sagen, wer zustärndig ist.“ Foto: Karsten/ oonpool.com

Wer klagt nicht über staatliche Regelwut und weltfremde Vorschriften? Am Bürokratie-Wahnsinn sind aber nicht nur Beamte, Politiker und Richter schuld, kommentiert Rainer Pörtner.

Stuttgart - Deutschland kurios. Apotheker werden verpflichtet, ihre Angestellten einmal jährlich im Umgang mit Leitern zu schulen – obwohl der durchschnittliche Bundesbürger halbwegs informiert sein sollte, wie er am besten eine Leiter hinauf- und wieder hinabsteigt. Wenn ein Möbelhändler bei der Auslieferung eines neuen Sofas das alte, durchgesessene mitnimmt, darf er für die Entsorgung nicht die Sperrmüllkarte des Kunden verwenden. Er muss das ausgemusterte Stück als Gewerbesperrmüll deklarieren und ordentlich in seine Bestandteile zerlegen: Holzfüße in diesen Container, Schaumstoffpolster in jenen … Unsere Ärzte und Psychotherapeuten verbringen zusammen 52 Millionen Stunden im Jahr für Papierkram. Das ist wertvolle Zeit, in der sie sich nicht leibhaftig um ihre Patienten kümmern können.

Vorschriften, Auflagen und Berichtspflichten sind allgegenwärtig. Aber wir dürfen uns Bürokratie nicht als ein einzelnes, riesiges Ungeheuer vorstellen, das den Menschen voller Bösartigkeit schikaniert. Bürokratie ähnelt eher vielen tausend kleinen Fäden, die unsere freie Entfaltung behindern – so wie die Schnüre, mit denen die winzigen Einwohner Lilliputs den Riesen Gulliver an Armen, Beinen und Haaren an den Boden fesseln.

Für Bürokratie-Abbau gibt es viele gute Beispiele

Wenn die baden-württembergische Regierung jetzt ankündigt, sich verstärkt um den Abbau von Überregulierung und bürokratischen Hemmnissen kümmern zu wollen, ist das mehr als begrüßenswert. Zwei lobenswerte Dinge hat sie bereits getan: Ende vorigen Jahres wurde ein Normenkontrollrat eingesetzt, der unter anderem Gesetze auf die Folgekosten für Staat, Bürger und Wirtschaft untersucht. Zudem wurde der Posten des Bürokratie-Abbau-Beauftragten aus dem Innenministerium in die Regierungszentrale verlegt und damit politisch aufgewertet. Dies sind allerdings selbst nur bürokratische, organisatorische Veränderungen. Noch hat der Bürger nichts davon.

Gute Beispiele, denen zu folgen sich lohnt, gibt es viele. Auf Bundesebene gilt seit 2015 die „One in, one out“-Regel: Wenn eine neue Vorschrift die Unternehmen belastet, muss diese Last an anderer Stelle ausgeglichen werden. Bayern verringerte die Zahl seiner Gesetze in den vergangenen vier Jahren um zehn Prozent und feiert sich heute als das Bundesland mit den wenigsten Gesetzen überhaupt.

Gesetzestreiber im Hintergrund

Dennoch arbeiten die Gesetzesmaschinen vielerorts auf Hochtouren. Allein der Bundestag verabschiedet im Schnitt mehr als hundert neue Gesetze pro Jahr. Warum ist diese Regelungswut ungebrochen? Hinter den allermeisten Regeln, die vom Bürger als bürokratische Gängelung wahrgenommen werden, steht eine gute Absicht: Die Umwelt, das Lohneinkommen des Arbeitnehmers oder die Hoheit des Menschen über seine Daten sollen geschützt oder verbessert werden, wenn neue Regeln zur Begrünung von Hausdächern, zum Mindestlohn oder zum Datenschutz verabschiedet werden.

Das Bedürfnis nach Sicherheit und Gerechtigkeit ist der Gesetzestreiber im Hintergrund. Die Menschen fordern immer mehr Schutz des Staates gegen die Unbilden des Lebens. Politiker, Beamte und nicht zuletzt Richter versuchen diese Wünsche durch immer mehr und vor allem immer umfassendere Vorgaben zu bedienen. Weil es dabei fair und gerecht zugehen soll, werden diese Vorschriften jedoch oft unverständlich und unhandlich. Die Republik ist also nicht einfach nur im Würgegriff von lebensfernen „Sesselfurzern“ in Behörden und Parlamenten, wie der ehemalige Bundesfinanzminister Oskar Lafontaine einst schimpfte. Der Bürger selbst trägt mit überzogenen Erwartungen an den Staat eine gehörige Mitschuld am deutschen Bürokratismus.