Im Bierzeltdunst dürfen Politiker Dinge sagen, die ihnen ansonsten verwehrt sind. Sie halten sich aber nicht immer an diese Regel Foto: dpa

Bald ist Wahlkampf. Doch das ist kein Freibrief, die Fakten zu verdrehen. Das geschieht leider auch in der landespolitischen Debatte allzu häufig.

Stuttgart - Sind Bier und Blasmusik im Spiel, dürfen Politiker fast alles. Sie dürfen provozieren und fabulieren, tricksen und täuschen, sie dürfen sogar die Wahrheit verdrehen bis zur dreisten Lüge – beim politischen Aschermittwoch und anderen krachledernen Parteiveranstaltungen lässt ihnen die Öffentlichkeit das durchgehen. Ja, das Publikum verlangt sogar danach, dass man ihm die Welt in Schwarz und Weiß präsentiert, dass Fakten verschwiegen und Argumente zurecht gebogen werden. Denn jeder kennt den Kontext von Bier und Blasmusik, und der besagt: Alles nicht so ernst gemeint.

Zum Problem wird dieser Klamauk erst, wenn er sich in die nüchterne politische Auseinandersetzung einschleicht. Wenn sich halbwahre oder gar falsche Behauptungen festsetzen, weil niemand zur Stelle ist, der die Hand hebt. Das ist zwar seit alters her ein beliebtes Instrument, um die öffentliche Meinung zu lenken, verwerflich ist es trotzdem. Auch im häufig so trockenen landespolitischen Diskurs scheint diese Masche immer wieder durch. Und es steht zu befürchten, dass die beiden Lager, je näher der Wahltag im März 2016 rückt, fleißig weiter daran stricken.

Wie oft hat zum Beispiel der CDU-Spitzenkandidat Guido Wolf schon die Geschichte von den Berliner „Wintermärkten“ erzählt, die eigentlich Weihnachtsmärkte seien, aber aus Rücksicht vor religiösen Minderheiten umbenannt worden seien. Dass dieses Märchen zuvor von einigen Medien erzählt wurde, macht es nicht richtiger. Auch die Behauptung, der Landesverkehrsminister habe 2013 hundert Millionen Euro Straßenbaumittel verfallen lassen, zieht sich durch alle CDU-Reden wie ein roter Faden. Sie ist widerlegt – was allerdings nicht heißt, dass die Regierung tatsächlich alles Geld abgerufen hätte. Eine grün-rote Version, die ebenfalls nicht stimmt.

Die Wahrheit ist eben selten simpel, und das macht ihren Einsatz im schnellen Geschäft so schwierig. Es behauptet sich halt leichter, die Gemeinschaftsschulen würden von Grün-Rot finanziell bevorzugt, als einzuräumen, dass dieser neue Schultyp genauso gefördert wird wie die alte Hauptschule – was übrigens mit vollem Einverständnis der Kommunen geschieht. Und wer hat schon den Überblick über die verschiedenen Gutachten zum EnBW-Aktiendeal, in denen sich die Fachleute diametral widersprechen? Dann aber wie Grün-Rot hinzustehen und im Brustton der Überzeugung zu verkünden, es sei erwiesen, dass das Land zu viel bezahlt habe, ist einfach unlauter.

Auch in den Nebenrollen wird beflissen mitgeflunkert, wenn es den eigenen Interessen dient. So hat vor Monaten der Chef des Philologenverbands im Land behauptet, in den Klassenzimmern solle künftig diskutiert werden „Wie betreibt man einen Puff?“ Ihm ging beim Ärgern über die grün-roten Bildungspläne wohl eher die eigene Fantasie durch. Oder aber es überwog das schlichte Kalkül: Es wird schon etwas hängen bleiben. Diese Rechnung geht ja auch meist auf. Denn das unbefangene Publikum in der politischen Arena weiß sehr wohl zwischen Bierzelt und Landtag zu unterscheiden. Fehlt der krachlederne Kontext, geht es mit vollem Recht von Wahrhaftigkeit aus.

Wird diese Erwartung zu häufig enttäuscht – und Lügen haben bekanntlich kurze Beine – entwerten die Politiker schleichend ihre wichtigste Währung: Vertrauen. Denn ein Recht auf Gegendarstellung (wie bei den Medien) gewähren sie nicht.Vor allem in Wahlkampfzeiten mit seinem latenten Bierzeltdunst verflüchtigt sich so der Wert von Worten. Die Akteure sind deshalb gut beraten, den Aschermittwoch zu feiern, ihn aber nicht kalenderwidrig zu verlängern.