Die NPD darf weiter existieren und politisch agieren – wie hier bei einer Demo gegen Asylsuchende in Berlin im August 2013. Foto: AFP

Das Bundesverfassungsgericht lehnt ein NPD-Verbot ab, weil sie die Partei für zu kraftlos hält. Aber es wäre ein großes Missverständnis, dies als Freibrief für rechte Gesinnungen zu deuten, kommentiert Christian Gottschalk.

Karlsruhe - Mag sein, dass das Bundesverfassungsgericht eines Tages eines Besseren belehrt wird, dass man ihm Blauäugigkeit vorwerfen kann oder eine allzu große Toleranz. Zu wünschen ist das nicht. Zu wünschen ist, dass die Zukunft den Zweiten Senat bestätigt, denn dieser hat ein Urteil gesprochen, das es in sich hat. Ein Urteil, dass an die Vernunft des Menschen glaubt, an die Kraft der Argumente, an die Demokratie und das Grundgesetz. Die Richter zeigen sich davon überzeugt, dass sich die Feinde der Demokratie durch die Mittel der Demokratie klein halten lassen. Deswegen haben sie die NPD nicht verboten.

Für viele wird diese Entscheidung eine Enttäuschung sein. Für Politiker, am meisten aber für die Opfer, die unter rechten Umtrieben leiden. Die gibt es, das verkennt das Gericht keinesfalls. Und diejenigen, die zweifelsfrei Gedankengut verbreiten, welches der Menschenwürde zu tiefst zuwiderläuft, sie werden zunächst einmal jubilieren. Sie werden erklären, dass ihr Denken, Tun und Handeln nun quasi von der höchsten aller Instanzen für gut und rechtens befunden worden ist.

Braune Gedankenwelt

Doch das ist nicht wahr. Das Gegenteil ist der Fall. Sehr klar und sehr deutlich haben die Richter erklärt, dass die braune Gedankenwelt der NPD nichts verloren hat in diesem Staat. Es ist die große Schwierigkeit dieser Entscheidung, genau diesen Widerspruch zu transportieren. Die NPD ist alles andere als eine normale Partei, ihr Denken, Tun und Handeln ist alles andere als richterlich abgesegnet. Auch wenn das alles nicht reicht für ein Verbot.

Die Richter haben in ihrem Urteil Grundsätze über den Haufen geworfen, die vor sechs Jahrzehnten aufgestellt worden sind. Sie haben sehr viel Vorarbeit geleistet für künftige Verbotsverfahren, bei denen die Antragsteller nun schon im Vorfeld genau prüfen können, welche Chancen ihr Antrag haben könnte. Und sie haben sich dazu bekannt, dass eine „Ultima Ratio“ mehr ist als eine leere Formel.

Sehr lange Urteilsbegründung

Das Urteil im NPD-Verbotsverfahren ist das längste, welches das Gericht seit dem KPD-Verbot vor 60 Jahren geschrieben hat, vielleicht sogar das längste in der Geschichte des Bundesverfassungsgerichts. Der Kern der Entscheidung, weswegen das Verbot gescheitert ist, er ist vergleichsweise simpel: die NPD ist zu unbedeutend. Sie ist zu schwach, um den Staat zu gefährden, zu weit entfernt von Volk und den staatlichen Machtzentralen, um ihr fraglos undemokratisches Vorhaben umzusetzen.

Es ist die Schwäche dieses Urteils, dass hier eine Grenze gezogen wird, die schwammig bleibt. Wie stark eine Partei tatsächlich sein muss, um mit ihrem staatszersetzenden Gedankengut so viel Gefahr auszustrahlen, dass ein Verbot Erfolg haben könnte, das bleibt offen. Dass die NPD diese Hürde jedenfalls nicht überspringt, ist klar.

Das Urteil strahlt in andere Länder aus

Das Grundgesetz kennt kein Gesinnungsverbot, selbst nationalsozialistische Parteien sind nicht per se verfassungswidrig. Die Richter wollten hier keine Tür öffnen, die einen Dammbruch zur Folge hätte haben können. Das gilt für Deutschland, das gilt aber noch viel mehr über diese Grenzen hinaus. Die Karlsruher Entscheidung wird in vielen anderen Ländern gelesen werden, die sich in Riesenschritten von Grundsätzen der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit entfernen.

Das gilt für Polen und Ungarn ebenso wie für die Türkei und Russland. Parteien werden dort viel schneller, mit sehr viel weniger Skrupel und oft ohne nachvollziehbare juristische Unterfütterung aus dem Verkehr gezogen. Selbst ein gut begründetes Verbot aus Karlsruhe hätte da als Feigenblatt missdeutet werden können. Ganz nebenbei hat Karlsruhe mit seinem Spruch den Oppositionsparteien in Europa einen großen Gefallen erwiesen.