Der Google-Campus im Silicon Valley Foto: dpa

Europa muss eine Antwort auf die Dominanz der amerikanischen IT-Industrie finden. Sonst droht ein Verlust von Arbeitsplätzen, kommentiert Michael Weißenborn - er hat sich im Silicon Valley umgesehen.

Schon bei der amerikanischen Landnahme Kaliforniens in den 1830er Jahren fragte sich ein deutscher Reisender, wie die Amerikaner das nur aushielten: ständig in Bewegung, als ob sie „an den Flügel einer Windmühle gebunden“ seien.

Die Entwicklung dort verlaufe so schnell, konstatierte der Besucher aus der Alten Welt, dass „zehn Jahre in Amerika wie ein Jahrhundert in Spanien“ erschienen. Macht sich ein Deutscher heute auf in jenes kalifornische Tal, das seinen Namen der Fähigkeit verdankt, Halbleiter aus Silizium herzustellen, könnte er zu ähnlichen Schlüssen kommen.

Kreative Geister, Unternehmer und Investoren aus aller Welt

Auch wenn von Berlin bis Bangalore dem Original in Kalifornien nachgeeifert wird, bleibt das Silicon Valley unbestritten das Zentrum von globaler Hightech-Industrie und Innovation. Keine andere Region der Erde zieht so viele kreative Geister, Unternehmer und Investoren aus aller Welt an. Von dort aus tritt die Digitalisierung der Welt ihren Siegeszug an und revolutioniert fast jeden Aspekt der globalen Wirtschaft.

So verändert sich, wie Unternehmen produzieren, wie Menschen „Freunde“ oder Übernachtungsmöglichkeiten finden. Und Firmen wie der Fahrdienstleister Uber stellen klassische Beschäftigungsverhältnisse in Frage. Zur Kultur der Gründerszene Kaliforniens zählt ein unbändiger unternehmerischer Mut, der selbst serielles Scheitern nicht scheut. Zudem ist atemberaubend viel Geld im Spiel. Im Silicon Valley werden so viele Milliarden-Deals abgeschlossen, dass sich die New Yorker Wall Street schon Sorgen um ihre Zukunft macht.

„Disruptive Innovation“, auf Deutsch so viel wie Störerneuerung, lautet das revolutionäre Leitmotiv in Kalifornien. Das Ziel: alles auf den Kopf stellen und mit Hilfe neuer Technologien und Geschäftsmodellen neue Märkte erobern. Die Gefahr für Deutschland und Europa: nachdem man in der Internetwirtschaft abgehängt wurde, nun auch in der klassischen Industrie überrundet zu werden.

Antiamerikanischer Unfug?

Die Antwort in Europa auf die Herausforderung aus Kalifornien darf nicht geprägt sein von unternehmerischer Zaghaftig- oder nationalstaatlicher Engstirnigkeit. Und auch der antiamerikanische Unfug des Philosophen Peter Sloterdijk, wonach das Silicon Valley nur ein versteckter Arm des Pentagon zur Kolonisierung der Welt sei, hilft wenig. Suggeriert er doch, der digitale Wandel sei noch abzuwenden. Das Gegenteil ist der Fall. Fachleute sehen zahlreiche IT-Innovationen zu Recht auf einer Stufe mit dem industriellen Erfindungsreichtum im 19. Jahrhundert.

Deshalb muss Deutschland fit gemacht werden für das digitale Zeitalter: mehr und bessere Ausbildung, vernetzte Fabriken und viel mehr Geld für Gründer. Und auch ein digital vereinigtes Europa muss her. Und zwar besser heute als morgen. Der Gedanke des EU-Digitalkommissars Günther Oettinger ist richtig: Ähnlich wie in der analogen Wirtschaftswelt muss Europa auch in der digitalen zu einer möglichst geschlossenen Einheit werden. Aber leider ist man davon noch weit entfernt. Nur so kann man mit dem größtmöglichen Markt der Welt auch die Spielregeln für die digitale Welt von morgen bestimmen.

Die Amerikaner haben im Silicon Valley die Basistechnologien des Internets erfunden. Nun müssen es die Europäer schaffen, neue eigene Technologien darauf aufzubauen. Sollte dies nicht gelingen, bliebe Europa abhängig und würde damit die Chance verlieren, auch die Gewinne von morgen in Europa zu erwirtschaften. Der Verlust von Arbeitsplätzen und Steuereinnahmen und damit auch des lieb gewonnenen Sozialstaats wäre die fatale Folge.