Die Schotten entscheiden über ihre Zukunft Foto:  

Die Schotten schreiben am 18. September Geschichte: Mit einem kleinen Kreuz können sie darüber entscheiden, ob ihr Land nach mehr als 300 Jahren Zugehörigkeit zu Großbritannien ein eigener Staat wird oder britisch bleibt.

Zum ersten Mal sieht eine seriöse Umfrage die Separatisten beim schottischen Referendum vorn. Bei den Unionisten löst der Umfragetrend Panik aus. Doch wie auch immer die Sache ausgehen wird – die größte Aufgabe der Politiker wird sein, die Schotten nach dem 18. September wieder zu einen. Denn die Stimmung zwischen Befürwortern und Gegnern der Unabhängigkeit wird immer feindseliger.

Als die Schotten vor 307 Jahren dem Königreich beitraten, wurden sie nicht nach ihrer Meinung gefragt. Das Parlament in Edinburgh entschied. Mehr als drei Jahrhunderte später werden nun vier Millionen Schotten darüber abstimmen, ob Schottland dieses Votum rückgängig machen soll. Ja oder nein zur Unabhängigkeit – mehr Demokratie geht nicht. Lange sind die Abspaltungsbestrebungen in London nicht ohne Überheblichkeit unterschätzt worden. Kein Wunder, dass sich die Waage kurz vor der Abstimmung zu den Separatisten neigt. Dem Meinungsforschungsinstitut You Gov zufolge wollen 51 Prozent der Schotten für die Abspaltung stimmen, 49 Prozent favorisieren die Union mit England, Wales und Nordirland. Schock und Unverständnis, so lässt sich die Reaktion in London zusammenfassen. Sogar Königin Elisabeth II. befürchtet laut hochrangiger Beamten inzwischen eine Verfassungskrise.

Die Befürworter des Status quo verstehen die Umfrage als „Weckruf“, dabei darf ihnen ein großer Anteil am Erfolg der Separatisten zugesprochen werden. Ihre Kampagne bestand vor allem darin, Schreckensbilder zu verbreiten. Während sie auf der einen Seite unaufhörlich Risiken beschworen, zeigte die Unabhängigkeitsbewegung eine fortschrittliche Vision auf. Mehr noch: Im Gegensatz zu den aus mehreren Parteien bestehenden Unionisten ist die Ja-Kampagne um die Scottish National Party (SNP) und deren populären Chef Alex Salmond gut organisiert. Obwohl viele Fragen unbeantwortet bleiben – etwa die, mit welcher Währung ein autonomes Schottland bezahlen würde –, werden die Separatisten vor allem von einem Gefühl getragen: von einem übermächtigen Partner fremdbestimmt zu sein. Ein Partner, der die Sorgen und Nöte der Schotten nicht versteht. Warum also nicht unabhängig werden?

Da geht es nicht um einen rückwärtsgewandten Patriotismus. Vielmehr zeigt sich ein neuer moderner Nationalismus, der mit Karomustern, Whisky und Loch Ness nur wenig zu tun hat. Die Anhänger der Eigenständigkeit wollen ein liberales Land, das sich im Gegensatz zur Skepsis der Engländer offen für die europäischen Partner präsentiert. Am Morgen des 19. Septembers wird feststehen, ob Schottland Geschichte schreibt und im Frühjahr 2016 autonom ist oder ob der Ehe mit dem Königreich eine neue Chance gegeben wird. Wie auch immer das Ergebnis ausfallen wird, den Politikern steht eine Herkulesaufgabe bevor: Sie müssen die Bevölkerung wieder einen.

In den vergangenen Monaten haben die Schotten leidenschaftlich polarisiert. Vor allem Unabhängigkeitsbefürworter ritten scharfe Attacken gegen die Unionisten. Das bekamen nicht nur Promis, die die „Better together“-Kampagne (besser gemeinsam) unterstützen, zu spüren. Bei Veranstaltungen, zwischen Freunden, selbst unter Familienmitgliedern kam es zu feindseligem Streit. Manche trauen sich kaum noch, ihre Ansichten zu äußern.

Deshalb muss am 19. September wieder Frieden einkehren. Denn das Wesen der Demokratie besteht nicht nur darin, dass das Volk die Politik bestimmt, sondern dass im Anschluss die Entscheidung der Mehrheit von der unterlegenen Minderheit auch akzeptiert werden muss.

politik@stn.zgs.de