Euro oder Drachme – letztlich geht es genau darum beim Referendum in Griechenland. Foto: dpa

Mit der Ansetzung eines Referendums glaubt Athens Ministerpräsident Alexis Tsipras ein starkes Zeichen zu setzen. Tatsächlich aber läuft er nur vor der Verantwortung davon.

Berlin - Die Sache macht zumindest auf den ersten Blick stutzig. Die Eurogruppe sieht gegenüber Griechenland einen vollständigen Vertrauensverlust und führt als Grund auch immer wieder die Ankündigung der Regierung in Athen an, das Volk in einem Referendum über die Annahme des auferlegten Sparkurses entscheiden zu lassen. Nun gibt es vermutlich ein Dutzend Gründe, der Tsipras-Truppe am Verhandlungstisch mit Misstrauen zu begegnen. Aber es ist nicht ungefährlich, einer Regierung vorzuwerfen, das Volk zu fragen. Zumal das von der Eurogruppe geforderte Programm sicher nicht dem Mandat entspricht, dass Tsipras bei seiner Wahl von den Griechen erhalten hatte. Die Athener Regierung hat es zu leicht, daraus ein zusätzliches anti-europäisches Argument zu schmieden.

Recht hat Athen zwar auch damit nicht. Aber Europa wird womöglich nicht um eine Debatte darüber herumkommen, ob Referenden und Volksbefragungen ein geeignetes Mittel sind, über den künftigen Weg Europas zu entscheiden. Es liegt auf der Hand, dass nun der Ruf auch in anderen Ländern stark wird, es den Griechen gleich zu tun. Wenn der Sparkurs vom griechischen Volk abgelehnt wird, dann wird auch schnell in Spanien der Ruf laut werden, über die Fortsetzung der Austeritätspolitik per Plebiszit zu entscheiden. In Großbritannien wird ohnehin 2016 das Volk über einen Verbleib in der EU abstimmen. Referenden könnten dann überall in der EU groß in Mode kommen.

Dabei ist es wichtig zu sehen, dass zwischen den Referenden in Athen und London Welten liegen. Ein Verbleib in der EU oder ein Austritt – das ist eine scharf geschnittene Grundsatz-Entscheidung. Die Argumente der Pro- und der Contra-Seite liegen auf dem Tisch. Es gibt keine fast täglich schwankenden Nuancen, die so wichtig wären, dass sie einen Pro-Europäer ins Lager der Europa-Kritiker überwechseln ließen. Fragen von solch evidenter Grundsätzlichkeit lassen sich im Referendum klären. Man kann dann immer noch fragen, ob das auch klug ist, aber die Abstimmung ist transparent und fair.

Ganz anders liegt der griechische Fall. Was da genau zur Wahl steht, muss den Wählern völlig unklar sein. Der der Text auf dem Wahlzettel ist vielleicht der Exegese eines volkswirtschaftlichen Hauptseminar zugänglich. Was da letztlich zur Wahl steht ist aber so komplex, dass niemand seriös mit einem simplen Ja oder nein antworten kann. Wie soll etwa derjenige abstimmen, der zwar Rentenkürzungen ablehnt, aber nicht begreifen kann, warum die Athener Linksregierung die reichen Reeder so schonend behandelt wie eine Glucke seine Küken? Wie soll der entscheiden, der die Austeritätspolitik der EU als zutiefst unsozial empfindet, weil die Armen der Gesellschaft dafür den Preis zahlen, aber gleichzeitig den Verbleib in der Eurozone wünscht, weil er in der engen Anbindung an Euro und EU noch den sichersten Schutz vor drohendem Chaos sieht? Das lässt sich nicht in ein simples Ja oder Nein auflösen. Aber genau eine solche Zuspitzung braucht ein Referendum. Also endet die Abstimmung in lauten und substanzlosen rhetorischen Gefechten mit den verrosteten Versatzstücken aus der Asservatenkammer alter ideologischer Auseinandersetzungen.

Alexis Tsipras nennt sich mutig, weil er sich dem Volk stellt. Tatsächlich handelt er feige. Politik in einer repräsentativen Demokratie heißt auch Führung. Nur ein kleiner Hinweis: Von der Westbindung über die Wiederbewaffnung und dem Nato-Doppelbeschluss bis zur Agenda 2010 sind die großen Weichenstellungen der deutschen Nachkriegsgeschichte stets gegen eine Augenblicksmehrheit der Straße durchgesetzt worden. Manchem kostete dieser Mut später das Amt. Das ist so in Ordnung in einer Demokratie.