In der Flüchtlingskrise gehören Rettungseinsätze – hier Besatzungsmitglieder der Fregatte „Hessen“ mit Schiffbrüchigen – seit Monaten zum Alltag der Marine. Jetzt soll sie im Nato-Verbund in der Ägäis Schleppernetzwerke aufspüren. Foto:  

Die Nato schickt einen Marine-Einsatzverband in die Ägäis, der Schleppernetzwerke aufdecken soll. Mag die Wirkung auch begrenzt bleiben, politisch ist das ein ermutigendes Signal.

Stuttgart - Zum Schrecken der Schleuser wird die Nato sicher nicht. Zwar rückt ihnen erstmals das stärkste Bündnis der Welt mit der Marine auf die Pelle. Aber die will nur gucken. Die Soldaten sollen in der Ägäis ein Lagebild erstellen, mehr nicht.

Dagegen ist nichts einzuwenden. Nur wer Menschenrechte und Seerecht missachtet oder von Gewaltfantasien heimgesucht wird, kommt auf andere Gedanken. Die Frage ist vielmehr: Fügt sich das, was die Nato zur Entschärfung der Flüchtlingskrise beitragen will, so in ein großes Ganzes, dass am Ende tatsächlich mehr rauskommt als eine Waffenschau zur See?

Die Vereinbarung, dass Flüchtlinge, die auf dem Meer zwischen der Türkei und Griechenland von Schiffen des Nato-Verbands aufgegriffen werden, konsequent in die Türkei und nicht in die EU gebracht werden, ist schon mal gut. Das beugt der Wiederholung dessen vor, was 2013 und 2014 einen dunklen Schatten auf die humanitäre Operation Mare Nostrum der italienischen Marine geworfen hat: In schwer überbietbarer Menschenverachtung gingen Schleuser an der nordafrikanischen Küste damals dazu über, Flüchtlinge auf besonders seeuntüchtigen Fahrzeugen hinaus aufs Mittelmeer zu schicken. Nach dem Motto: Je früher und zahlreicher unsere Kunden im Wasser treiben, desto mehr werden die Italiener gewillt sein, sie zu retten und in die EU zu holen. Das soll – richtig so! – in der Ägäis anders laufen.

Der Beschluss kommt zur rechten Zeit

Die Zweifel am Nato-Einsatz fangen allerdings da an, wo geregelt ist, dass der türkische und der griechische Küstenschutz und Europas Grenzschutzagentur Frontex auf Basis des Nato-Lagebilds die eigentliche Arbeit übernehmen sollen: den Schleppern das Handwerk legen. Mit dieser Aufgabe zeigen sie sich bereits heute total überfordert. Was angesichts der schieren Zahl der Flüchtlinge kein Wunder ist. Genauso wenig wie die Tatsache, dass sich Griechenland und die Türkei, auf deren Territorium besonders viele Zuwanderer gestrandet sind, nicht unbedingt mit letzter Konsequenz dafür einsetzen, dass es noch mehr werden, weil die Schleuser für den Weitertransport – etwa nach Deutschland – ausfallen.

Also lieber lassen? Keineswegs. Die Lage ist so kritisch, dass kein Beitrag zur Entschärfung der Krise verzichtbar erscheint. Auch keiner, der mit großem Aufwand voraussichtlich kleine Wirkung entfalten wird. Der aber den so wertvollen Nebeneffekt hat, dass er beweist: Die Europäer sind doch noch in der Lage, sich zu gemeinsamem Handeln aufzuraffen.

Der Nato-Beschluss, den Schleppern auf die Finger zu gucken, kommt zur rechten Zeit: Geht es doch jetzt darum, die Reihen wieder enger zu schließen, wenn die Verbündeten irgendetwas ausrichten wollen gegen die gewaltigsten Schubkräfte hinter der Krise – die Konflikte in Afghanistan, im Irak, in Libyen, in Syrien.

Wie einig sie sind, dafür wird die Münchener Sicherheitskonferenz die nächsten Anhaltspunkte liefern. Dort zeigt sich, ob die Nato-Staaten die Kraft finden, mit einer Stimme zu sprechen. Um die Türkei für einen gemeinsamen Kurs zu gewinnen, die in Syrien seit 2011 ihr eigenes, den Krieg befeuerndes Ding macht. Um die Vertreter Irans und Saudi-Arabiens zu überzeugen, dass Frieden in Syrien auch ihnen nützt. Um sich nicht länger von Russland vorführen zu lassen, das in Syrien mit härtesten Bandagen für den Sieg des Diktators Baschar al-Assad kämpft.

Was dabei herauskommt und was der Nato-Gipfel im Juni daraus ableitet – das wird den Fortgang der Flüchtlingskrise tatsächlich beeinflussen. Der Einsatz eines Marineverbands gegen Schleppernetzwerke bleibt dagegen eine Episode.

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