Zufriedene Mienen: Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne, links im Bild) und CDU-Landeschef Thomas Strobl auf dem Weg zur Vorstellung des grünschwarzen Koalitionsvertrages. Foto: dpa

Für viele Beteiligte erstaunlich glatt haben sich die Verhandlungsführer der Grünen und der CDU geeinigt. Der Entwurf ihres Koalitionsvertrags steht. Der unbedingte Wille zum Aufbruch lässt sich daraus nicht lesen.

Stuttgart - Überrascht: Grüne und Christdemokraten bemühen dieses Wort, wenn sie erzählen, wie geschmeidig ihre Verhandlungen über die Bildung einer gemeinsamen Regierung für Baden-Württemberg verlaufen seien. Und das nach all den Jahrzehnten ziemlich erbitterter Konkurrenz. Das mag die Beteiligten tatsächlich überraschen. Außenstehende weniger.

Was außer einem gutbürgerlichen Programm für dieses so bürgerliche Land hätte denn herauskommen sollen, wenn sich zwei im Wesenskern aufs Bewahren ausgerichtete Parteien die Macht teilen? Darin liegt die größte Stärke ihrer Vereinbarung. Die größte Schwäche auch.

Haltbarkeit dieser Koalition

Der Entwurf des Koalitionsvertrag liest sich auf 140 Seiten so, als verfolgten CDU und Grüne seit jeher dieselben Ziele. Als habe sich keine Seite verbiegen müssen. Das lässt auf eine ordentliche Haltbarkeit dieser Koalition und damit auf Stabilität für das Land hoffen. Zugleich fällt aber das bescheidene Anspruchsniveau auf, wenn es darum geht, Baden-Württemberg weiterzuentwickeln und für die absehbaren wirtschaftlichen und politischen Herausforderungen zu wappnen. Also für neue Konkurrenz weltweit, für Sicherheitsrisiken rings um Europa, für ein horrendes technologisches Entwicklungstempo, für starke Zuwanderung.

Da fehlen im grün-schwarzen Koalitionspapier unmissverständliche Bekenntnisse. Etwa dazu, dass die Debatte um die Bildung noch immer schiefläuft. Zumindest, solange sie mehr um quantitative Kriterien und um Schulformen kreist als um die Frage, wie Schüler, Studenten und nicht zuletzt Auszubildende so in ihrer Kreativität entwickelt werden und nach ihrem Abschluss so viel wissen und können, dass sie Baden-Württemberg wirtschaftlich an der Spitze halten. Auch was sich Grün-Schwarz über den Ausbau schneller Internetverbindungen hinaus auf die Fahnen geschrieben hat, um den international verflochtenen Mittelstand zu stärken, klingt nicht nach unbedingtem Willen zum Aufbruch.

Sparen tut weh

Der bescheidene Ehrgeiz lässt sich allerdings auch als Sinn fürs Machbare deuten. Beide Parteien wissen: Die fünf fetten Jahre der ersten Regierung Kretschmann blieben in Sachen Haushaltssanierung leider so gut wie ungenutzt. Jetzt stehen pro Jahr rund zwei Milliarden Euro weniger zur Verfügung.

Sparen tut weh, Rücklagen fehlen. Und keine Verbundenheitsprosa des Koalitionsvertrags täuscht darüber hinweg: Genau da steckt das Sprengpotenzial im ersten grün-schwarzen Bündnis auf Landesebene. Sollte die Zuwanderung wieder deutlich zunehmen, wird es eng mit den Gürtelengerschnallen-Vorsätzen, die Grüne und CDU den Kommunen zudenken. Dann wird sich die Frage nach den Kosten für den weiteren Ausbau von Gemeinschaftsschulen oder für 1500 zusätzliche Stellen bei der Polizei mit neuer Härte stellen. In solchen Momenten wird sich zeigen, was der Kitt dieses Bündnisses aushält – und wie die Gewichte intern tatsächlich verteilt sind.

Koalitionäre selbstbewusst

Im Koalitionsvertrag erst einmal redlich: Die zwei annähernd gleich starken Partner erhalten jeweils fünf Ministerien. Rund 70 Prozent der Bediensteten des Landes werden CDU-geführten Ministerien unterstehen. Dafür besetzen die Grünen mit dem Staatsministerium und mit dem Finanzministerium die beiden Schlüsselstellen, an denen alle anderen Ressorts mehr oder weniger hängen.

Unterm Strich klingt es daher nicht ganz vermessen, wenn die Koalitionäre selbstbewusst behaupten, ihr Bündnis bilde „mehr als jedes andere die bürgerliche Gesellschaft in ihrer ganzen Breite ab“. Jetzt sind sie gefordert, genau das in den kommenden fünf Jahren zu beweisen.

christoph.reisinger@stuttgarter-nachrichten.de