Demonstrationen vor dem Brandenburger Tor gegen das geplante Freihandelsabkommen TTIP. Foto: dpa

Der Protest gegen das Freihandelsabkommen ist naiv - wir Deutschen haben einen Hang zu lustvollen Panikreaktionen, meint unser Hauptstadtkorrespondent Norbert Wallet.

Es ist mal wieder Zeit, ein bisschen hysterisch zu werden. Waldsterben, Klimawandel, Vogelgrippe, BSE – wir Deutschen haben einen Hang zu lustvollen Panikreaktionen. Die jüngste Mode auf dem Katastrophenmarkt heißt TTIP – das ist das angestrebte Freihandelsabkommen der EU mit den USA. Fast eine halbe Million Unterschriften stehen auf der Protestliste, die kürzlich Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel übergeben worden ist. Und es droht ja wohl auch Schreckliches: Der Genmais, das Hormonfleisch, der ultimative Angriff der US-Chlorhühner. Dabei wäre es besser gewesen, wenn diejenigen, die so eilig von der Protestlobby vorgefertigte Mails abschicken, den Grundsatz befolgt hätten, dass vor dem Hyperventilieren das Informieren stehen sollte. 

Ein Drittel des Welthandels spielt sich zwischen den USA und der EU ab. Das betrifft 800 Millionen Menschen. Es geht um die Hälfte der globalen Wirtschaftsleistung. Dieser rege Austausch von Waren und Dienstleistungen wird mitunter behindert – von Zöllen, von unterschiedlichen Produktstandards diesseits und jenseits des Atlantiks, auch von anderen Zulassungsbedingungen.

Es liegt auf der Hand, dass es für betroffene Unternehmen eine Erleichterung darstellt, könnte man sich auf gemeinsame Standards verständigen. Damit nicht in Europa und den USA unterschiedliche, aber gleich gute Blinker gebaut werden müssen. Damit nicht ein Medikament, das auf der einen Seite des Teichs sehr teure und eingehende Zulassungsprüfungen durchlaufen hat, auf der anderen Seite erneut die ganze Prozedur durchlaufen muss. 

Es ist deshalb naiv zu folgern, das Abkommen nütze allein der Industrie. Bauen sich Autos von allein? Entwickeln sich neue Medikamente von selbst? Oder profitiert nicht doch unmittelbar der heimische Arbeitsmarkt, wenn Exporte reibungsloser als bisher abgewickelt werden können? Für Deutschland, den Export-Weltmeister, ist die Globalisierung nichts Schreckliches, sondern ein Geschenk. Traurig genug, dass das immer wieder betont werden muss. Das Abkommen kann hier einen weiteren Beitrag leisten. 

Wohlgemerkt, es geht um gemeinsame Standards, nicht um eine Absenkung der Standards. Ohnehin täte es den erhitzten Skeptikern gut, einmal die Perspektive umzukehren: Vielleicht hätten eher US-Verbraucher Grund zu befürchten, dass ihre Standards geschleift werden sollen. Bei der Bankenregulierung sind die Amerikaner jedenfalls strenger. Die Zulassung eines Medikaments auf den US-Markt ist ein hoch kompliziertes Prüfverfahren.

Und die amerikanische Food and Drug Administration ist eine von der US-Industrie gefürchtete Verbraucherschutzbehörde. Aber natürlich kann man der Meinung sein, dass unser Verabreichen von Antibiotika an Hühner angenehmer ist als das amerikanische Chloren zur Desinfektion. Eher wahrscheinlich ist, dass sich hinter der angenehmen moralischen Entrüstung eine unangenehme Mischung aus Unwissenheit und Überheblichkeit verbirgt. 

Was nicht heißt, dass es nichts zu verhandeln gibt. Es gibt Grenzen des Akzeptablen. Dazu gehört der Import von Hormonfleisch genauso wie ein Aushebeln nationaler Gesetzgebung durch Investitionsschutzklauseln, die den Konzernen das Anrufen von Schiedsgerichten zum Einklagen von Schadenersatz erlauben, wenn ihnen politische Entscheidungen nicht gefallen. Jetzt wird mehr Öffentlichkeit gefordert. Verhandlungen sind nie öffentlich. Die Positionen der EU sind allen zugänglich. Die Frage ist, wer am Ende entscheidet – nur das EU-Parlament? Es könnte nicht schaden, wenn doch alle nationalen Parlamente darüber abstimmen müssten.

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