Im vorigen Jahr wehten noch die Fahnen – diesmal sind Gewerkschaftsproteste ausgeblieben. Foto: dpa

Der Tarifabschluss für die chemische Industrie setzt Maßstäbe: 5,3 Prozent schafft keine große Branche in diesem Jahr. Zwar hat ein Teil der Unternehmen damit seine Probleme, doch im Wettkampf um den qualifizierten Nachwuchs hat die Industrie gute Karten, meint Matthias Schiermeyer.

Stuttgart - Langweilig mag man es finden, wie die Tarifpartner der Chemieindustrie zu Werke gehen: Einträchtig und ohne öffentliches Brimborium haben sie einen Lohnabschluss gezimmert, der Maßstäbe setzt in diesem Jahr. Bei einem Lohnzuwachs von 5,3 Prozent liegen sie noch einmal einen halben Prozentpunkt über der Metallindustrie. Dort hatten sich aber 750 000 Beschäftigte an Warnstreiks beteiligt. Der in der Chemie übliche Konsens führt, wie man sieht, ebenso zum Erfolg.

Im Vorjahr war auch bei BASF, Bayer & Co. Leben in der Bude: Da konnte die Gewerkschaft ihre streikentwöhnten Truppen wenigstens zu Protesten bewegen. Im Vergleich mit der IG Metall löste dies nur eine Windböe statt eines Orkans aus – doch erstmals seit 1971 drohte eine Eskalation, weil auch die Arbeitgeber einen ruppigen Kurs eingeschlagen hatten. Diesmal sind die Tarifpartner zur Harmonie zurückgekehrt. Sie wissen gut, dass sie auch außerhalb der Lohnrunden einander brauchen.

Attraktiv für den guten Nachwuchs

Zum Schaden der Arbeitnehmer ist dies nicht. Auf die 15 Prozent Entgeltsteigerung seit 2010 kommen noch mal fünf Prozent drauf. Die Tarifparteien betreiben eine Hochlohnpolitik, die sich von den Exporterfolgen nährt. Insgesamt geht die Schere zwischen Löhnen und Produktivität aber auseinander. Ein Teil der Industrie kann sich die hohen Lohnsteigerungen kaum leisten. Sie erhalten im Tarifabschluss wenigstens ein bisschen mehr Spielraum.

Einen Vorteil für die nahe Zukunft hat das stattliche Entgeltniveau in jedem Fall: Im immer härteren Kampf um den qualifizierten Nachwuchs haben die Unternehmen gute Karten. Auch dies wird die weitere Wettbewerbsfähigkeit stärken. Die Chemietarifpartner sind da mit ihrem nun weiterentwickelten Ausbildungsbündnis ohnehin Vorreiter. Alle Branchen hingegen, die über viele Jahre einen Sparkurs gefahren und die jungen Menschen vernachlässigt haben, werden mit den Bewerbern zufrieden sein müssen, die übrigbleiben.