Hinter Hochspannungsmasten steigt Wasserdampf aus den Kühltürmen des Braunkohlekraftwerkes der Vattenfall AG in Jänschwalde (Brandenburg) auf. Foto: dpa

Der Braunkohleausstieg darf wirtschaftlich nicht auf die leichte Schulter genommen werden, findet Redakteur Markus Grabitz. Auf die Gesellschaft könnten Milliardenkosten zukommen.

Stell dir vor, es gibt einen Ausstieg, und keiner kriegt es mit. Genau darauf legt es die Bundesregierung an. Erst kürzlich hat sie der Stromerzeugung durch die Nutzung von Atomkraftwerken den Garaus gemacht. Und nun knöpft sie sich die Stromerzeugung aus Braunkohle vor.

Wenn es so kommt, wie Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel es sich vorstellt, dürften Ende dieses Jahrzehntes von den derzeit laufenden 38 Kraftwerksblöcken, die Braunkohle verheizen, immer mehr vom Netz gehen. Irgendwann rechnet sich dann nicht mehr der Tagebau des letzten fossilen Energieträgers, der hierzulande abgebaut wird. Vermutlich Mitte des nächsten Jahrzehnts werden die drei Braunkohlereviere im Rheinland, in Mitteldeutschland und in Ostdeutschland dichtgemacht. Das Braunkohle-Kapitel in der deutschen Wirtschaftsgeschichte wäre dann abgeschlossen.

Dieses Szenario zeichnen gerade die betroffenen Gewerkschaften und die drei noch im Braunkohlebau tätigen Konzerne, RWE, Vattenfall und Mibrag. Und es spricht viel dafür, dass sie damit richtigliegen. Hintergrund der Befürchtungen ist: Energieminister Gabriel will einen „Klimaschutzbeitrag“ erheben, der den Betrieb von Kraftwerken mit Braunkohle so sehr verteuern würde, dass dies der Todesstoß für diese Technologie sein würde. Der Beitrag dürfte einen Bruch in der Struktur der Energieerzeugung bedingen. Es wäre der Ausstieg aus der Braunkohle.

Gabriel wiegelt ab, will von diesen weitreichenden Folgen nichts wissen. Es ist durchsichtig, warum er die Konsequenzen herunterspielt. Er fürchtet den Zorn der Betroffenen, etwa 20 000 Jobs stehen auf dem Spiel. Gabriel legt sich ja auch mit den Gewerkschaften an, die für die Beschäftigten zu einer Großdemonstration Ende dieser Woche aufrufen. Das ist mutig, weil die Gewerkschaften Teil des sozialdemokratischen Milieus sind.

Dabei spricht in der Sache einiges für Gabriel. Niemand wird bestreiten, dass die Braunkohle ein Auslaufmodell ist. Ihre Verfeuerung belastet das Klima unnötig, hinzu kommen Berichte über eine bedenkliche Freisetzung von giftigem Quecksilber. Deutschland hat sich verpflichtet, bis 2020 den Ausstoß von klimaschädlichem CO2 um 40 Prozent gegenüber 1990 zu senken. Ohne Atomkraft geht dies nur, indem sich das Land von der Braunkohle verabschiedet.

Nur: Dass Gabriel die scharfe Zäsur in der Energiepolitik leugnet, die er gerade einläutet, das ist nicht in Ordnung. Es ist nicht fair gegenüber den Menschen, die sich massive Sorgen machen müssen um ihre berufliche Zukunft, um ihre Existenz. Sie haben einen anständigeren Umgang verdient. Sie sollten schon jetzt auf den Strukturbruch vorbereitet werden, sie dürfen nicht alleingelassen werden bei der beruflichen Neuorientierung. Auch wirtschaftlich darf der Braunkohleausstieg nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Die beiden großen Spieler bei der Braunkohle, RWE und Vattenfall, sind schon durch den vorzeitigen Atomausstieg massiv geschwächt.

Wenn nun auch noch ein zweites Geschäftsfeld, die Braunkohle, wegfällt, weil die Politik die Ampeln auf Rot stellt, wird dies nicht nur tiefe Furchen in den Unternehmensbilanzen ziehen. Es könnte auch volkswirtschaftliche Folgen haben, die noch sehr unangenehm werden: Sollten die beiden Konzerne in die Knie gehen, werden die Rückstellungen, die sie zur Beseitigung der Folgen der Nutzung der Atomkraftwerke und zur Renaturierung der Tagebaue gebildet haben, wenig oder nichts mehr wert sein. Es gilt zu verhindern, dass Milliardenkosten auf die Gesellschaft zukommen.