Junge Motorradfahrer mit kräftigen Maschinen gelten unter Verkehrsexperten als Risikogruppe. Foto: dpa

Die EU-Kommission­ hat 2050 als das Jahr deklariert, in dem „nahezu niemand“ mehr auf europäischen Straßen sterben soll. Dabei kommt Städten eine Schlüsselrolle zu, kommentiert Frank Schwaibold.

Stuttgart - Man will es sich gar nicht vorstellen: Mehr als 21 000 Menschen waren noch im Jahr 1970 bei Verkehrsunfällen in Deutschland ums Leben gekommen. Seither hat sich viel getan: Pro Jahr gibt es „nur noch“ zwischen 3000 und 4000 Verkehrstote – aber auch hinter diesen Zahlen stehen furchtbare Schicksale. Jeder zweite Verkehrstote saß in einem Pkw, jeder sechste war ein Motorradfahrer. 

In Schweden hat man schon vor 17 Jahren mit der „Vision Zero“ reagiert. Das Ziel: keine Unfalltoten oder schwer verletzte Verkehrsteilnehmer. Zunächst belächelt, ist die Initiative mittlerweile in Europa angenommen worden. Die EU-Kommission hat 2050 als das Jahr deklariert, in dem „nahezu niemand“ mehr auf europäischen Straßen sterben soll. Fortschritte gibt es vor allem dank Gurt, Airbag und festen Fahrgastzellen. Antiblockiersysteme machen Autos und Motorräder sicherer.

Die Industrie ist längst dabei, die Fahrzeuge noch „intelligenter“ zu machen. Elektronische Fahrerassistenzsysteme warnen vor Gefahren und greifen notfalls selbst ins Fahrgeschehen ein. Vor allem in den Städten mit den vielen Fußgängern und Radfahrern kann der Notbremsassistent Leben retten. Es wird damit gerechnet, dass es durch die Entwicklung solcher Systeme möglich sein wird, etwa jeden zweiten Unfall zu vermeiden. 

Ein wesentlicher Beitrag zu mehr Sicherheit ist auch das anfangs umstrittene „begleitete Fahren ab 17“. Die Praxis lehrt: Fahren lernt man am besten durch Fahren. Aber nicht, wenn man als Führerscheinneuling – vielleicht von angetrunkenen Freunden aufgestachelt – von der Disco nach Hause rast, sondern tagsüber mit Vater oder Mutter als Beifahrer. 

Vieles deutet darauf hin, dass es tatsächlich möglich ist, die Zahl der Verkehrstoten weiter zu senken. Doch es gibt auch Entwicklungen, die dagegen sprechen. 59 Millionen Fahrzeuge, davon 14 Millionen Lkw, sind auf Deutschlands Straßen unterwegs. Das geht an die Substanz der Infrastruktur. Um Brücken und Straßen in verkehrssicher zu erhalten, müssten in den nächsten vier Jahren jeweils rund sieben Milliarden Euro zusätzlich für Sanierungsarbeiten bereitgestellt werden. Tatsächlich macht die Große Koalition bis 2017 insgesamt nur fünf Milliarden locker.

Dazu kommt: Ein ganz bestimmter Typus von unverantwortlichen jungen Fahranfängern ist offenbar nicht in den Griff zu bekommen. Sie sind meist männlich, mit aufgemotzten Autos unterwegs und machen etwa zehn Prozent der 18- bis 25-jährigen Fahrer aus. Zudem trinkt in dieser Altersgruppe jeder Zweite Alkohol, obwohl er sich hinters Steuer setzt. Und jeder dritte telefoniert ohne Freisprecheinrichtung oder schreibt während der Fahrt eine SMS. Auch bei den Bikern sind junge Fahrer die größte Risikogruppe. Hier machen die 21- bis 30-Jährigen rund 40 Prozent aller Alleinunfälle aus.

Ob die Vision Zero somit jemals zu erreichen ist, erscheint fraglich. Dennoch ist es richtig, sie zu verfolgen. Gerade die Kommunen zeigen, was alles möglich ist. Immerhin haben es zwischen 2009 und 2012 schon 100 von 181 deutschen Städten mit mehr als 50 000 Einwohnern geschafft, mindestens in einem Jahr keinen Verkehrstoten zu haben. Das ist ein großer Erfolg für alle, die sich um die Verkehrssicherheit verdient machen. Jahrelang haben sie Unfall-Schwerpunkte analysiert und dann gehandelt: Gefährliche Kreuzungen wurden mit Ampeln oder Kreisverkehren entschärft, Überwege mit Mittelinseln oder Zebrastreifen verbessert, Gehwege verbreitert. Nächstes Ziel muss daher sein, von den Erfolgreichen zu lernen, damit sich noch mehr Städte als bisher in diese Liste einreihen können.

f.schwaibold@stn.zgs.de