Die SPD sei vielleicht nicht mehr auf der Höhe der Zeit, meint Steinbrück. Foto: dpa

Ex-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück zweifelt, ob die SPD noch auf der Höhe der Zeit ist – zu Recht, wie unser Kommentator Wolfgang Molitor findet.

Stuttgart/Berlin - Man könnte es Nachtreten nennen. Handfest zwischen zwei Buchdeckel gepresst und sorgenvoll in aufrichtige Analyse-Watte verpackt. So kennt man Peer Steinbrück. Geradlinig bis zur Selbstverliebtheit, bis zum erbettelten Missverständnis flapsig, ein Mann mit Ecken und Kanten, ein Kämpfer mit offenem Visier. So präsentierte sich der 68-jährige Sozialdemokrat schon immer. So sieht er sich noch heute. So hat er als Kanzlerkandidat die letzte Bundestagswahl verloren.

Steinbrück ist kein Mannschaftsspieler. Kein Wunder, dass er eine Niederlage im Team eher anderen in die Schuhe zu schieben versucht. Auflagensteigernd. Die SPD sei vielleicht nicht mehr auf der Höhe der Zeit, meint Steinbrück. Weil sich die Gesellschaft anders entwickle, als es die Parteistrategen wahrnähmen. Pluraler sei sie geworden, individualistischer, mit sich auflösenden Wählerblöcken, sagt der Ex-Kandidat. Das ist nichts Neues. Erst recht nichts Originelles. Sogar im Willy-Brandt-Haus hat man diese Veränderung wahrgenommen.

Gut möglich aber – da kann man Steinbrück durchaus folgen –, dass man dort noch immer weder den Mut noch die Mittel hat, um daraus die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Ein hohes Kompetenzprofil im sozialen Bereich, eine daraus abgeleitete manchmal geradezu lebensfremde Umverteilungslust – das ist viel zu wenig, um neue und jüngere Wählerschichten für sich zu interessieren. Eine noch unveröffentlichte Infratest-Studie zeigt, dass es der SPD ungemein schwerfällt, Wähler zwischen 25 und 45 Jahren zurückzugewinnen – und das, obwohl die Partei in den ersten 16 Monaten der Großen Koalition zentrale Anliegen kraftvoll und geschlossen durchgesetzt hat, ob nun Mindestlohn, Rente mit 63, Mietpreisbremse oder Frauenquote.

Spektakuläre Randthemen. Schön, dass man sie hat. Aber ein Image als zukunftsgestaltende Kraft will daraus einfach nicht wachsen. Eher im Gegenteil und in allen Umfragen weit von jener 30-Prozent-Marke entfernt, die der SPD erst wieder eine reelle Chance im Wettlauf um die Kanzlerschaft eröffnen würde. Die Studie bescheinigt den Sozialdemokraten ein „gefühltes Desinteresse an der Lebenswirklichkeit der arbeitenden Mitte“, was nichts anderes heißt als das: Die SPD hat sich im Minderheitenspektrum vergaloppiert, lässt es an Wirtschaftskompetenz mangeln und löffelt dafür ohne Alleinstellungsmerkmal den sozialen Wohlfahrtsstaatsbrei, den eine CDU-Kanzlerin mittlerweile zwar etwas kalorienarmer, aber dafür bekömmlicher zubereiten zu können scheint.

Eine Partei auf dem falschen Dampfer. Steinbrück sieht das ähnlich. Auch deshalb hält er die im Wahlkampf noch von ihm leidenschaftlich mitgetragene Rente mit 63 – zusammen mit der CSU-Mütterrente bis 2030 rund 160 Milliarden Euro teuer – für falsch. Doch sein Ruf, beide Beschlüsse für zwei Jahre auszusetzen, um die eingesparten 17 Milliarden für Investitionen einzusetzen, klingt schwach. Wie die mahnende Frage, ob unsere Kinder und Enkel solche Maßnahmen noch mit steigenden Beitragssätzen finanzieren können und wollen, ohne die Garantie zu haben, selber in den Genuss einer sicheren Altersversorgung zu kommen. Denn auch Steinbrück weiß: In der Zukunftsplanung der SPD spielt er keine Rolle mehr.

So nörgelt er ein bisschen herum, nicht ohne die Koketterie eines jeden Querschießers, ohne Parteichef Sigmar Gabriel infrage zu stellen. Distanziert solidarisch. Mehr kann die SPD von einem wie Steinbrück nicht erwarten.