Franken und Euro – der plötzlich geänderte Wechselkurs sagt auch etwas über Veränderungen in den politischen Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU. Foto: dpa

Dass die Schweizer den Wert ihres Franken von dem des Euro entkoppelt haben, passt ins Bild: Im Nachbarland wächst die Tendenz zur Abgrenzung. Eine schlechte Entwicklung für Baden-Württemberg, meint unser Kommentator Christoph Reisinger:

Stuttgart - Ist die Schweizer Geschichte um ein Kapitel der Abgrenzung gegen die Nachbarschaft reicher? Sicher, es besteht kein Grund, die Entkoppelung des Franken vom Euro-Kurs in ihrer politischen Bedeutung zu überhöhen. Schließlich lässt sie sich rein finanztechnisch erklären, und zwar schlüssig: Die weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise wirkt heute global nicht mehr so stark nach wie noch im September 2011, als die Schweizer den Wert ihrer Fränkli an den der EU-Gemeinschaftswährung banden. US-Wirtschaft und Dollar zeigen neue Festigkeit. Die Schweizer Wirtschaft steht heute in Sachen Wettbewerbsfähigkeit und Arbeitslosigkeit weit stabiler da als damals, kann den extremen Export-Dämpfer einer massiven Franken-Aufwertung also eher verkraften.

Aber es wäre naiv, Geldpolitik isoliert zu betrachten. Und beim Blick auf das gesamte Bild zeigt sich: Die in den Werken Conrad Ferdinand Meyers so eindrücklich besungene Treue der Eidgenossen wankt tatsächlich. Zumindest, wenn es um die EU geht, zu der die Schweiz zwar nicht gehört, mit deren Rechts- und Wirtschaftsraum sie aber durch Hunderte Verträge eng verwoben ist.

Wer allein die Schweizer dafür verantwortlich macht, argumentiert unredlich. Die Klatsche aus Zürich für ihre Höchstrisikopolitik zur Stabilisierung des Euro hat sich die Europäische Zentralbank selbst zuzuschreiben. Ist sie doch im Begriff, die Risiken nochmals auszuweiten. Und wie. Dass es den Schweizern zu gefährlich und zu teuer wurde, da mitzuziehen, während Griechen, Italiener und vor allem Franzosen weiterhin Zweifel lassen an ihrer zwingend gebotenen Reform von Staat und Staatsfinanzierung, ist ihnen schwerlich vorzuwerfen.

Aber zur ganzen Wahrheit gehört eben auch: Die Abgrenzungsinitiativen in der Schweiz gegenüber Europa nehmen zu. Auch wenn zwei besonders extremistische Vorstöße zuletzt in Volksabstimmungen gescheitert sind, so gehört das Thema „Dichtestress“ inzwischen doch zu den politischen Oberthemen der Eidgenossen. Ziemlich unabhängig vom politischen Spektrum, von Alter, Einkommen, Stadt oder Land. Übersetzt heißt Dichtestress: Es sind zu viele Ausländer da, ganz besonders aus Deutschland und Italien.

Mit fast jedem – politisch wie wirtschaftlich naheliegenden – Versuch, das Land enger an die EU heranzurücken, hat die Schweizer Bundesregierung im Inland mehr Schwierigkeiten als in Brüssel. Mit steigender Tendenz. Und die Beobachtung von Oberschwaben und Südbadenern, gar zu viele Schweizer lebten „mit dem Rücken zum Rhein“, hat sich in den vergangen Jahren eher verstärkt. Das ist das Bild, in das sich die Distanzierung der Schweizer Nationalbank vom Euro fügt.

Für Deutschland und speziell für Baden-Württemberg wird es Zeit, aktiv gegenzusteuern. Die zahllosen persönlichen, wirtschaftlichen, kulturellen und sportlichen Bande über die Grenze hinweg bieten dafür reichlich Ansatzpunkte. Diese Beziehungen sind gut gewachsen, stark und belastbar. Aber sie brauchen Belebung, Bestätigung, Weiterentwicklung. Deutlich über die Handelsbilanz hinaus.

Warum? Vor den großen Herausforderungen durch die Globalisierung und durch Kriege und Zonen extremer Instabilität in unmittelbarer Nachbarschaft Europas stehen Schweizer wie Deutsche. Und wer sich umschaut, wird schnell erkennen: Sie werden kaum stärkere Anker der Stabilität in Europa finden als genau diese Nachbarn.

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