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Bitter für Annette Schavan, noch bitterer für die deutschen Hochschulen: Die gerichtliche Entscheidung, dass die Uni Düsseldorf ihren Doktortitel zu Recht aberkannt hat, kommt für Schavan einer Katastrophe gleich – und vergrößert die Zweifel an einem zentralen Gütesiegel der deutschen Wissenschaft.

Stuttgart - Bitter für Annette Schavan, noch bitterer für die deutschen Hochschulen: Die gerichtliche Entscheidung, dass die Uni Düsseldorf ihren Doktortitel zu Recht aberkannt hat, kommt für Schavan einer Katastrophe gleich – und vergrößert die Zweifel an einem zentralen Gütesiegel der deutschen Wissenschaft.

Ausgerechnet im Amt einer Bundesbildungsministerin ist die Ulmer CDU-Abgeordnete über ihre Doktorarbeit gestolpert. Ausgerechnet in einer Arbeit zum Thema Gewissensbildung hat ihr das Gericht nicht weniger als 60 Täuschungsbefunde zur Last gelegt. Das Leben kann ironisch sein.

Als Ministerin schon nach der Aberkennungs-Entscheidung der Hochschule nicht mehr zu halten, steht Schavan nach dem Gerichtsurteil vor einer ungewissen Zukunft. Wird es rechtskräftig, wäre es vermessen, sie wie geplant als Botschafterin in den Vatikan zu schicken.

Die Ex-Ministerin verlängert die unrühmliche Reihe deutscher Spitzenpolitiker, deren vorgebliche wissenschaftliche Leistung im Nachhinein als Ideenklau verurteilt wurde. Die Doktortitel der Entlarvten verwehen wie Spreu.

Keiner dieser Fälle ist genau mit dem anderen vergleichbar. Allen gemein aber ist dies: Jeweils zwei Gutachter und eine Uni-Fakultät waren nicht in der Lage, die Spreu als solche zu erkennen. So wurde ein Karl-Theodor zu Guttenberg für sein schamloses Abernten der Früchte fremder Arbeit sogar mit Topnote promoviert.

Nun muss angezweifelt werden, dass die zunehmend eifernde Strenge im öffentlichen Umgang mit Politikern die deutsche Demokratie stärkt. Und es sei dahin gestellt, ob das fröhliche Halali auf Internetplattformen, auf denen Rudel von selbst ernannten Nach-Prüfern die Arbeiten von Politikern zerpflücken, ein Akt wissenschaftlicher Aufklärung oder eher eine Treibjagd sind. Es hat was von beidem. Aber egal wie man das dreht und wendet: Die Hochschulen sind in keinem Fall aus dem Schneider.

Wann, wenn nicht nach diesem Gerichtsurteil im Fall Schavan, wollen sie wirklich aufwachen? Wollen ihren Ruf, den Stellenwert ihrer Diplome, das Ansehen ihres wissenschaftlichen Personals wesentlich entschlossener verteidigen als bisher? Durch nachvollziehbare, verbindliche und glaubwürdige Gradmesser für die Verleihung von Doktordiplomen. In dieser Forderung steckt kein Angriff auf die Freiheit der Wissenschaft, sondern die Chance zum Befreiungsschlag.

Schließlich steht inzwischen der Wert des deutschen Doktorgrades auf dem Spiel. Zunächst für diejenigen, die ihn haben oder erwerben wollen. Wer unter hohem Zeitaufwand und Gehaltsverzicht mit Fleiß und herausragender wissenschaftlicher Eigenleistung dazu gelangt, hat in der Regel wenig Verständnis für die Doktorspiele titelgeiler Scharlatane – und die universitären Nachlässigkeiten, die diese Spielchen möglich machen.

Für die Hochschulen noch wichtiger: Mit dem Doktorgrad ist es nicht anders als mit Gütesiegeln für die Auto-Sicherheitstechnik oder die Bio-Landwirtschaft: Kommen Standards und Glaubwürdigkeit ins Gerede, geht das zu Lasten des Geschäfts derer, die sie vergeben oder nutzen. Der wirtschaftliche Erfolg Deutschlands hängt mehr denn je von der internationalen Wettbewerbsfähigkeit seiner Forschung und Lehre ab. Genau deshalb geht es im Fall Schavan um sehr viel mehr als die Frage: Muss man noch Frau Doktor zu ihr sagen?

c.reisinger@stn.zgs.de