Papst Johannes Paul II. wird am Sonntag heilig gesprochen Foto: dpa

Beileibe nicht jeder Papst wird später heiliggesprochen. Jetzt erhebt Franziskus gleich zwei seiner Vorgänger der Neuzeit in diesen Stand. Die Zeremonie wird zu einem kirchlichen Großereignis.

Stuttgart - Heilige sind illustre Gestalten. Sie werden als Lichtgestalten verehrt und als Fürsprecher vor Gott angerufen. Ab sofort gehört auch Johannes Paul II. zur Liga dieser außergewöhnlichen Menschen. Der 2005 verstorbene Karol Wojtyla war ein Jahrhundert-Papst. Und das nicht nur, weil er etliche Rekorde in Sachen Reisetätigkeit, Reden und Kanonisierung aufstellte. Insgesamt sprach er 1820 Menschen selig und heilig – mehr als alle Vorgänger der letzten vier Jahrhunderte zusammen. Schon zu Lebzeiten galt er als besonders tugendhaft und glaubensstark. Unbedingte Voraussetzungen, um zur Ehre der Altäre erhoben zu werden.

Nicht wenige Selige und Heilige sind umstritten, darunter auch manches Kirchenoberhaupt – wie Pius IX. (1792– 1878), den Johannes Paul II. 2000 seligsprach. Päpste sind immer auch Machtpolitiker, denen die Letztverantwortung für die Kirchenleitung sowie die Bewahrung und Weitergabe des Glaubensgutes obliegt. Eine schier übermenschliche Aufgabe, die nicht nur Benedikt XVI. überforderte. Bei einem frommen Eremiten, einem der Welt entsagenden Mönch oder einer sich aufopfernden Nonne fällt es ungleich leichter zu glauben, dass sie ein gottgefälliges Leben geführt haben. Doch ein Papst muss Entscheidungen treffen, durch die Menschen ausgegrenzt, enttäuscht und verletzt werden.

Johannes Paul II. hat wie jeder Mensch Fehler gemacht – zwangsläufig. Nur dass seine Fehler schwerer wogen und größere Konsequenzen nach sich zogen. Er war ein eminent politischer Papst, der auch strittige Entscheidungen nie scheute. Er hat dazu beigetragen, den Kommunismus zu Fall zu bringen, hat wie nur wenige für die Menschenrechte, Gerechtigkeit und Religionsfreiheit gekämpft und sich als Sozialreformer profiliert. Doch zugleich genossen umstrittene erzkonservative Gruppen wie das Opus Dei oder die Legionäre Christi während seines 26-jährigen Pontifikats höchste Wertschätzung, während Reformgruppen und Liberale im Vatikan kein Gehör fanden. Sein konservativ-autoritärer Kurs hat innerhalb der Kirche zu Spannungen, Unzufriedenheit und Austritten geführt. Auch die Tatsache, dass er seine schützende Hand über Geistliche hielt, die sich schlimmste Verfehlungen zuschulden kommen ließen, ist Teil seines Erbes. Ein Erbe, an dem die Kirche schwer trägt.

Nichtsdestotrotz ist es konsequent und richtig, dass Johannes Paul II. geehrt wird: als Vorbild christlichen Lebens und ambivalenter Mensch mit all seinen Stärken und Schwächen. Als ein Mensch, der visionär und glaubensstark, unbeirrbar und mutig war – und zugleich auch ideologisch und starrköpfig, autoritär und intolerant. Dass die krisengeschüttelte Kirche mit diesem Akt Politik betreibt, indem sie ein Pontifikat und einen Regierungsstil als leuchtendes Beispiel würdigt und ihren Nutzen daraus ziehen will, ist Teil des ganzen Prozederes. Kritiker halten der Kirche deshalb vor, sie wolle sich von Verfehlungen wie dem Missbrauchsskandal „reinwaschen“. Eine kritische Bewertung dieses „widersprüchlichsten Papst des 20. Jahrhunderts“ würde dadurch verhindert, heißt es seitens kirchlicher Reformgruppen. Dieses Argument ist nicht sehr stichhaltig, denn wie künftige Historiker über dieses Pontifikat urteilen werden, hängt nicht davon ab, ob jemand einen Heiligenstatus besitzt oder nicht.

Der Verehrung durch die Gläubigen kann sich der verstorbene Papst ungeachtet aller kritischen Stimmen ohnehin sicher sein. Unzählige Menschen sehnen sich nach dem Heiligen, das ihnen Halt gibt in einer Welt voller Gewalt und Ungerechtigkeit. Das Leben und Wirken von Johannes Paul II. ist für sie Beweis genug, dass Glaube und Hoffnung nicht an der harten Wirklichkeit zerbrechen müssen.