Bundespräsident Joachim Gauck spricht am Montag im Haus des Terrors in Budapest in Ungarn. Foto: dpa

Bundespräsident Gauck mischt sich ein. Er will große Politik erklären, nicht schelten. Ein Kommentar von Berlin-Korrespondent Norbert Wallet.

Joachim Gauck, so scheint es, gewinnt zunehmend an Statur. Jedenfalls ist da ein selbstbewusster Präsident im Schloss Bellevue, der sich zunehmend auch in die innenpolitische Debatte einschaltet. Nicht jedem zur Freude, was aber nur dafür spricht, dass dieses Staatsoberhaupt Akzente setzt. Und wer Anstöße gibt, erregt eben auch Anstoß.

Wie also ist er? Treffsicher im Ton – das vor allem, und das ist ziemlich beruhigend. Von seiner ersten wichtigen Rede im Ausland, kurz nach der Amtseinführung in den Niederlanden, bis zu seinen Staatsbesuchen in Griechenland und Israel fand Gauck stets die richtige Mischung aus Einfühlung und Haltung. Und er ist unerschrocken genug, in der Türkei für Freiheitsrechte und in der Schweiz für Weltoffenheit und Toleranz einzutreten. Diese Souveränität in der Außendarstellung unseres Landes macht Gauck allein schon zu einem erstklassigen Präsidenten.

Innenpolitisch fällt vor allem der große Unterschied zu Vorvorgänger Horst Köhler auf. Dieser hatte aus Unsicherheit der Versuchung nachgegeben, durch eine sehr pauschale Politikerschelte billige Sympathiepunkte einzusammeln. Gauck geht geradezu den umgekehrten Weg: Er will nicht der Politik Volkes Stimme entgegenschleudern, sondern den Bürgern die hohe Politik erklären. Das kann man pastoral oder eitel finden – oder auch nicht. Auf jeden Fall sollte man es konstatieren. Gauck will weniger die Politiker als die Bürger überzeugen: in der ersten Phase seiner Amtszeit vor allem davon, dass Freiheit auch unbequem ist, dass marktwirtschaftliches Denken an Eigeninitiative geknüpft ist. Neuerdings gewinnt ein neues Thema Oberhand, und wieder geht es auffällig darum, den Bürgern ins Gewissen zu reden und Mentalitäten zu ändern.

Diesmal also das Militärische. Gauck wirbt darum, dass unsere Gesellschaft die deutsche Geschichte nicht mehr länger als bequeme Entschuldigung dafür missbraucht, sich international fein zurückzuhalten, wenn es darum geht, Menschenrechte auch mit Waffengewalt zu verteidigen oder zu erstreiten. Wie beim Freiheitsthema geht es also wieder um einen Mentalitätswechsel. Das ist der rote Faden. Im Prinzip ist gegen dieses Rollenmodell eines Bundespräsidenten nichts zu sagen. Zumal die Argumente, die er bringt, alle respektabel sind. Allerdings tut zumindest der Hinweis gut, dass gerade in der Frage der neuen weltweiten Aufgaben der Bundeswehr auch eine andere Funktion des Präsidenten möglich wäre.

Und vielleicht wäre sie sogar wünschenswert: Statt sich einzureihen in die Phalanx der Politiker, die – womöglich zu Recht – ein stärkeres militärisches Engagement der Bundeswehr als unausweichlich darstellen, könnte Gauck einfach Fragen stellen. Fragen, die Gewicht haben, aber in Zeiten einer Großen Koalition zu wenig Gehör bekommen. Zum Beispiel: Sind die Ereignisse im Irak nicht gerade die Folge eines – gescheiterten – militärischen Eingreifens des Westens? Entsteht nicht gerade in Afghanistan nach einem westlichen Militär-Engagement ein Machtvakuum, das dem im Irak gleicht? Zeigt nicht der Fall Syrien, wie heikel militärische Interventionspläne sind, obwohl aus Menschenrechtsgründen ein robustes Eingreifen allemal gerechtfertigt wäre? Zeigen nicht die aktuellen Krisenherde, wie eng begrenzt die Hoffnungen sind, mit militärischer Gewalt die Dinge zum Besseren zu wenden?

Mag sein, dass sich all diese Fragen im Sinne der Politik der Bundesregierung beantworten lassen. Aber sie müssen gestellt und diskutiert werden. Auch das wäre eine Aufgabe für ein Staatsoberhaupt. Joachim Gauck wählt bewusst einen anderen Weg.

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