G8 oder G9? Die Frage bringt nicht wirklich weiter. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Die Debatte über die Dauer der Schulzeit am Gymnasium reißt nicht ab. Doch sie ist häufig unsachlich und hilft inhaltlich meist nicht weiter, kommentiert unsere Redakteurin Renate Allgöwer

Stuttgart - Das heiß diskutierte Thema um die richtige Länge der gymnasialen Schulzeit sollte schon 2012 beendet sein. Der letzte G-9-Jahrgang machte in Baden-Württemberg Abitur. Danach sollte es nur noch G8 geben. Doch 2011 kamen der Regierungswechsel zu Grün-Rot – und Claus Schmiedel. Der SPD-Fraktionschef machte sich zum Anwalt derer, die das neunjährige Gymnasium behalten wollten und setzte, wiewohl selbst kein Bildungspolitiker, die teilweise Rückkehr zu G9 an den 44 sogenannten Modellschulen durch.

Bildungspolitiker bestimmen Debatte nicht

Das ist eines der Probleme in der anhaltenden Debatte um die Dauer der Schulzeit am allgemein bildenden Gymnasium im Land. Meist führen nicht die Bildungspolitiker das Wort – und die Pädagogik ist nicht immer die Grundlage der Argumente.

Als Annette Schavan im Schuljahr 2004/05 die gymnasiale Schulzeit flächendeckend verkürzte, schielte sie auf den internationalen Vergleich. Andere Abiturienten waren jünger. Die Forderungen der Wirtschaft waren laut und fanden Gehör. Dass die Änderung überhastet eingeführt wurde, bestreitet heute kaum jemand. Eine bessere Vorbereitung, auch eine bessere Anpassung der Bildungspläne hätte sicher die Akzeptanz erhöht und viele Debatten überflüssig gemacht.

Bildungspolitiker argumentieren strukturell: G8 für die allgemein bildenden Gymnasien, der neunjährige Weg durch Realschulabschluss mit daran anschließendem beruflichen Gymnasium und durch einige Gemeinschaftsschulen. Das erscheint logisch. Gemeinschaftsschulen bekommen weniger Schüler mit Gymnasialniveau, wenn das allgemein bildende Gymnasium neunjährig ist. Auch die Konkurrenz zwischen beruflichen und allgemein bildenden Gymnasien verschärft sich.

Eltern interessieren sich wenig für Strukturen

Allerdings kümmern sich Eltern wenig um Schulstrukturen. Sie wollen das Beste für ihre Kinder. Wo sie die Wahl haben, entscheidet sich die meisten für die neunjährige Variante. Doch sollte das nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Mehrheit der allgemein bildenden Gymnasien das Abitur nach acht Jahren anbietet – und dass es meist recht gut läuft. Die Kritiker von G8 sind laut, sie müssen nicht die Mehrheit sein. Im vergangenen Jahr brachte der Philologenverband mit einer Petition für die Wahlfreiheit von G8 und G9 rund 14 600 Unterschriften zusammen – bei knapp 270 000 Gymnasiasten im Südwesten.

Schwierige Diskussion

Es gibt gute Gründe für die kürzere wie für die längere gymnasiale Schulzeit. Das macht die Diskussion so schwierig. Einige Voraussetzungen, die noch bei der Einführung galten, sind hinfällig. Es gibt keine allgemeine Wehrpflicht mehr, und anders als damals werden Kinder jetzt früher eingeschult. In vielen Bundesländern wird bereits die Rückwärtswende zu mehr neunjährigen Zügen eingeläutet, doch nicht einmal die lautesten Fürsprecher des neunjährigen Gymnasiums wollen das achtjährige gänzlich beerdigen.

G8 als Erklärung für diverse Defizite

Die Haltung zu G8 oder G9 scheint zu einer Glaubensfrage geworden zu sein. G8 muss als Erklärung für Defizite aller Art herhalten. Engagieren sich Jugendliche zu wenig im Ehrenamt, liegt das an G8. Doch nutzen viele Abiturienten das gewonnene Jahr für freiwillige Dienste. Brechen Studenten ihre Ausbildung ab oder tun sich schwer an der Hochschule, wird wohl das verkürzte Gymnasium schuld sein. Allerdings zeigt ein zweiter Blick, dass die Mehrzahl der Studenten mit Leistungsproblemen gar nicht von einem allgemein bildenden Gymnasium kommt.

Nicht alles an einer Schulart

Die Dauerdebatte um die Länge der Schulzeit hat zu oft den falschen Fokus gesetzt. Was die Schulen brauchen, ist Ruhe und Verlässlichkeit. Unbestritten ist, dass auch am allgemein bildenden Gymnasium Nachbesserungen nötig sind. Sie werden inzwischen eingeleitet. Es gilt auch, dass es vielfältige Wege zur Hochschule geben muss. Aber nicht alle an einer Schulart.