Die EU zählt derzeit 28 Mitgliedsstaaten – und schafft es nicht, eine gemeinsame Linie zu formulieren. Foto: dpa

Die Flüchtlingskrise zeigt es: Die Europäische Union ist überfordert, die 28 Mitgliedsstaaten schaffen es nicht, sich auf eine gemeinsame Politik zu verständigen. Dennoch werden Beitrittsverhandlungen mit weiteren Staaten geführt. Ein Irrweg.

Ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts: Das ist die Europäische Union auf dem Papier. Ein Raum voll Stacheldraht, Pfefferspray und Grenzkontrollen: Das ist die europäische Realität im Jahr 2015. Gemeinsame Werte, eine gemeinsame Politik sollten einst die Basis des Staatenverbunds sein – davon ist leider herzlich wenig übrig geblieben. In Zeiten, in denen sich die aktuell 28 Mitgliedstaaten schon nicht auf eine gemeinsame Linie einigen können, erscheint es nahezu grotesk, über weitere Neuzugänge zu sprechen. Die EU scheint das nicht zu stören. In den kommenden Tagen wird die Kommission ihren zweiten Fortschrittsbericht zum Beitrittskandidaten Serbien vorstellen. Auch Montenegro und die Türkei zählen zu den Anwärtern auf eine EU-Mitgliedschaft.

Klar, die EU funktioniert. Wenn es darum geht, die Roaming-Gebühren abzuschaffen, wie an diesem Dienstag in Brüssel geschehen. 2017 soll es keinen Unterschied mehr machen, ob man mit einem deutschen Handy in Italien oder in Belgien telefoniert. Die Union funktioniert auch, wenn mehr als drei Millionen junge Menschen die Möglichkeit bekommen, während ihres Studiums Erfahrungen im europäischen Ausland zu sammeln. Sie sind es, die die europäische Idee leben und weitertragen. Vorausgesetzt, sie haben Glück und zählen nicht zu den 17,8 Prozent der 20- bis 24-Jährigen in Europa, die weder eine Arbeit noch einen Ausbildungsplatz haben. Denn hier funktioniert Europa nicht. Durch die Wirtschaftskrise und die steigende Verschuldung der Haushalte fehlen Investitionen in Bildung und Entwicklung. Aus der europäischen Generation droht eine verlorene zu werden.

Nach der Euro-Krise, die monatelang das Geschehen in Brüssel bestimmte und lähmte, zeigt die Flüchtlingskrise nun noch eindrucksvoller die eklatanten Schwachstellen des Konstrukts Europa. Da verkauft es Brüssel bereits als Durchbruch, wenn sich die Staats- und Regierungschefs nach monatelangem Hickhack endlich auf die Verteilung von 120 000 Flüchtlingen von Griechenland und Italien auf den Rest der EU einigen. Bei den vielen Flüchtlingen, die täglich nach Europa kommen, ist das weniger als ein Tropfen auf den heißen Stein. Und nichts weiter als ein Symbol. Leider kein positives.

Die Flüchtlingskrise zeigt, woran es am meisten fehlt: Solidarität

Es ist ein Sinnbild dafür, dass sich aus 28 nationalen Befindlichkeiten keine gemeinsamen machen lassen. Das bekommen die Architekten der EU-Erweiterung in diesem Fall besonders deutlich zu spüren. Die Flüchtlinge zeigen, dass es in der Union am Grundsätzlichsten fehlt: an Solidarität. Es braucht eine ganzheitliche europäische Lösung, um des Flüchtlingsandrangs Herr zu werden. Mit verbindlichen Quoten, die jeden der 28 Mitgliedstaaten in die Verantwortung zwingen. Eine Utopie wie die Union selbst.

In kluger Voraussicht hatte Jean-Claude Juncker während der Europawahl 2014 hinter vorgehaltener Hand geäußert, mit ihm als Kommissionspräsidenten werde es keine weiteren Mitglieder geben – zumindest nicht in den kommenden fünf Jahren. Eine kluge Entscheidung. Die Union ist nur so stark wie ihre Mitglieder. Und wenn diese zunehmend – aktuelles Beispiel: der Wahlausgang in Polen am vergangenen Sonntag – von eurokritischen Parteien regiert werden, darf es niemanden verwundern, wenn die europäische Idee flöten geht. Johannes Hahn, der Erweiterungskommissar, sagte vor wenigen Wochen: „Die nationalen Führer in Europa müssen wieder anfangen, europäisch zu denken und zu handeln.“ Bevor das nicht die 28 Regierungschefs verinnerlicht haben, sollte man nicht noch mehr in diesen Kreis aufnehmen.

a.siefert@stn.zgs.de