Flüchtlinge aus Afrika richten sich in einem Zelt der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen ein. Sie können in Deutschland nur einen Asylantrag stellen, wenn sie hier das EU-Gebiet zum ersten Mal betreten haben. Foto: dpa

Solange es Menschen gibt, die innerhalb der EU vor menschenunwürdigen Zuständen auf der Flucht sind, kann es keine gemeinsame europäische Asylpolitik geben, findet Politikredakteurin Almut Siefert.

Italien und Griechenland sind beliebte Urlaubsländer – keine Frage. Sonne, Erholung und gutes Essen. Für Flüchtlinge sieht die Lage dort anders aus. Viele, die in Süd- oder Osteuropa landen, zieht es deshalb weiter. Nach Frankreich, nach Schweden, nach Deutschland. Doch das ist gegen die Regel. In der Dublin-Verordnung hat die Europäische Union klar festgelegt, dass ein Asylsuchender aus einem Nicht-EU-Land nur dort seinen Antrag auf Schutz stellen darf, wo er das EU-Gebiet zum ersten Mal betreten hat. Damit soll verhindert werden, dass ein Flüchtling in mehreren EU-Staaten zugleich einen Antrag auf Asyl stellt. Klingt einfach und logisch. Ist es aber nicht.

Die europäische Asylpolitik ist ein Beispiel dafür, dass sich die EU gern selbst überholt. Das erste Dubliner Übereinkommen wurde 1990 unterzeichnet – damals von zwölf Mitgliedstaaten. Als die Regelung 1997 in Kraft trat, waren es schon vier Staaten mehr. Drei EU-Erweiterungen und zwei weitere Überarbeitungen des Abkommens lassen heute 28 Mitgliedstaaten mit Dublin III ringen.

Das Problem: Die Verordnung kam, bevor einheitliche Standards in den Staaten herrschten. Die Idee, erst einmal eine Verordnung zu erlassen, der Rest füge sich dann bestimmt von selbst, war ein Schuss nach hinten. Manche EU-Staaten sind in Sachen Asylpolitik schlichtweg überfordert. Die Länder an den Küsten – Griechenland, Malta, Spanien und Italien – werden mit den Zigtausend Flüchtlingen, die jedes Jahr versuchen, übers Meer nach Europa zu kommen, überschwemmt.

Aber auch in manchem jüngeren EU-Staat fehlt es an Strukturen, die für ein sinnvolles europaübergreifendes Asylsystem nötig wären. Aus Ungarn wird von brutalen rassistischen Übergriffen berichtet, von Intoleranz und allein gelassenen Menschen. Asylpolitik ist dort weniger auf die Rechte der Menschen und deren Schutzbedürfnis ausgerichtet als vorrangig auf deren Strafverfolgung. Von Integration und Fördermaßnahmen scheint man in Ungarn wenig zu halten. Wer keine Hilfe zur Integration erhält, landet auf der Straße. Was strafbar ist. Das dortige Asylrecht steht zwar im Einklang mit den EU-Richtlinien – doch wie die Umsetzung aussieht, scheint Brüssel wenig zu interessieren.

In Bulgarien zeigt sich eine weitere Krankheit der europäischen Asyl-Utopie. In der Dublin-III-Verordnung heißt es blauäugig: „Solidarität geht in der gemeinsamen europäischen Asylpolitik Hand in Hand mit Vertrauen.“ Schön wär’s. Bulgarien hat eine Lücke gefunden und damit einen Weg, sich aus der Verantwortung zu stehlen. Das Land gibt Asylbewerbern schnell und gern den Status als Flüchtling – im Vergleich zu 2013 erhöhte sich die Zahl derer mit diesem Status um 1200 Prozent –, weil sie damit wieder ausreisen können. Bulgarien ist sie los – und spart viel Geld. Viele Flüchtlinge schlagen sich nach Deutschland durch. Doch einen reisenden Flüchtling sieht die Dublin-Verordnung nicht vor. Die Behörden wissen nicht, wie sie mit Menschen umgehen sollen, die sich in einer Art rechtlosem Raum befinden und die Mühlen der Asyl-Bürokratie verstopfen.

Auch in ihrer dritten Auflage hinkt die EU-Verordnung der Realität weiter hinterher. Solange es Menschen gibt, die innerhalb der EU vor menschenunwürdigen Zuständen auf der Flucht sind, kann es keine gemeinsame europäische Asylpolitik geben. Will die EU an der Dublin-Regel festhalten, muss sie es schaffen, dass in jedem Staat in etwa gleiche Standards herrschen. Die jetzigen Zustände sind nicht das, was man sich unter einer funktionierenden Staatengemeinschaft vorstellt.