Bernd Klingler bei der Urteilsverkündung im Amtsgericht Bad Cannstatt. Foto: Martin Stollberg

Dass 56 von 60 Stuttgarter Stadträte Bernd Klinglers Rücktritt fordern, ist gut. Dass er im Amt bleiben will, zeigt aber, wie er tickt, meint Holger Gayer.

Stuttgart - Auf dem Briefkopf der AfD-Gemeinderatsfraktion ist unter dem Logo der Partei ein bemerkenswerter Wahlspruch zu lesen: „Mut zur Wahrheit“. Drei Worte nur, die aber das ganze Selbstverständnis einer Gruppierung zeigen, die sich mit Verve gegen das aus ihrer Sicht verlogene politische Establishment wehrt. Die AfD, so wird suggeriert, besteht aus lauter kleinen Robin Hoods – vereint im Kampf gegen die Bösen. Mittendrin: der nach eigener Anschauung missverstandene und mit einem „Fehlurteil“ zu Unrecht der Untreue geziehene Stuttgarter AfD-Fraktionschef Bernd Klingler. Mal ehrlich: Selten hat man in der kommunalpolitischen Geschichte der Landeshauptstadt eine so verzerrte Version von Wahrheit gehört.

Ein Ehrbegriff, der selbst auf Sizilien nichts mehr zu suchen hat

Tatsache ist: Das Urteil gegen Klingler ist noch nicht rechtskräftig. Tatsache ist aber auch, dass Klingler mit dem Geld seiner früheren Fraktion in einer Art hantiert hat, die ihm zunächst einen Strafbefehl und schließlich eine erstinstanzliche Verurteilung wegen Untreue eingebracht hat. Daraus den Schluss zu ziehen, dass alles in Ordnung sei und man als Stadtrat einfach so weitermachen könne wie bisher, zeugt von einer politischen Instinktlosigkeit in fortgeschrittenem Stadium. Doch Klingler toppt sich selbst noch mit seiner Beschwerde über frühere Kollegen, die als Zeugen gegen ihn ausgesagt haben, obwohl er einst doch so viel für sie getan habe. Das klingt nach einem Ehrbegriff, der selbst auf Sizilien nichts mehr zu suchen hat.

Insofern kann man nur begrüßen, dass die anderen Fraktionen sich zwar spät, aber wenigstens deutlich zu einer gemeinsamen Rücktrittsforderung entschlossen haben. Aus Gründen der politischen Hygiene kann Bernd Klingler nicht länger Stadtrat sein. Würde er das endlich erkennen, bewiese er wirklich Mut zur Wahrheit. Und einen letzten Rest von Anstand.