Die Richtung, die Ursula von der Leyen der Bundeswehr vorgibt, ist fragwürdig – meint unsere Kommentatorin Bärbel Krauß. Foto: dpa

Die Verteidigungsministerin predigt Vielfalt und macht sexuelle Toleranz in der Truppe zur Chefsache. Damit verspricht sie etwas, was Streitkräfte per se nicht einhalten können – und lenkt damit von anderen Problemen in der Truppe ab, meint Autorin Bärbel Krauß.

Berlin - Wenn Soldaten meist schon am ersten Tag ihrer Laufbahn in die Kleiderkammer gehen und sich ihre Uniform abholen, geben sie einen substanziellen Teil ihrer Individualität an der Garderobe ab. Sie ziehen die Uniform an und sehen damit ziemlich gleich aus. Schon äußerlich wird deutlich, dass ihre Individualität zurücktreten muss hinter der Uniformität der Organisation, zu der sie gehören. Sie werden für Freund und Feind ohn‘ Ansehen ihrer Person erkennbar zu einem Kämpfer, der in der extremen Lage des Verteidigungsfalls auf Befehl töten und getötet werden darf.

Das ist Sinn und Zweck von Streitkräften, und es ist der im Völkerrecht kodifizierte Kern des Soldatenberufs. Es ist konstitutiv für das Militär, dass der einzelne Soldat dem bedrohten Staat sogar sein individuelles Recht auf Leben zur Verfügung stellt. Mehr Entindividualisierung geht nicht. Das gilt auch in unserer nach wie vor glücklichen Zeit, in der die Bundeswehr trotz Auslandseinsätzen weit überwiegend im Friedensbetrieb operiert. Wenn Ursula von der Leyen nun in ihrer Not – Ende der Wehrpflicht, hoher Arbeitskräftebedarf der Privatwirtschaft –, das nötige Personal für die Bundeswehr dadurch gewinnen will, dass sie auf Inklusion und Vielfalt in der Truppe setzt und demonstrativ einen Workshop über „Sexuelle Orientierung und Identität in der Bundeswehr“ abhält, dann bricht sie damit nicht nur mehrere Tabus. Sie führt die Öffentlichkeit auch in die Irre über das, was die Truppe leisten kann.

Die sexuelle Orientierung der Soldaten sollte nicht im Mittelpunkt stehen

Wahr ist, dass die Bundeswehr heute einen Bedarf an vielfältig begabten Mitarbeitern hat und Minderheiten egal welcher Art nicht diskriminiert werden dürfen. Dafür muss die Leitung stetig kämpfen. Wahr bleibt aber auch – siehe oben –, dass der Truppendienst auch im Frieden nicht geeignet ist, Vielfalt und Individualität auszuleben.

Richtig ist, dass manche Soldaten in der Bundeswehr sich nach wie vor schwer tun, Minderheiten zu akzeptieren. Frauen, Schwule und Lesben werden ebenso wie Ausländer, Andersgläubige oder Behinderte immer wieder diskriminiert. Nun wirbt aber die Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt nicht für Toleranz gegenüber Soldaten, die an irgendeinem Punkt anders verfasst sind als die Mehrheit ihrer Kameraden. Sie stellt deren sexuelle Orientierung und Identität in den Mittelpunkt, obwohl diese den Dienstherrn an sich nicht zu interessieren hat.

Post-pubertierenden Sprüchen und Spielchen sollte man anders begegnen

Von der Leyens Vorstoß kollidiert außerdem mit der bisher geübten sinnvollen Praxis in den Streitkräften, die Intimsphäre der Soldaten besonders zu schützen, weil sie ja bisweilen – anders als gewöhnliche Arbeitnehmer – auf der Stube, im Manöver oder im Schützengraben kaum umhin können, in den privaten Nahbereich der Kollegen einzudringen. Die Zeit, als Homosexuelle institutionell diskriminiert wurden, weil sie als latente Gefahr für die sexuelle Unversehrtheit der übrigen Soldaten verdächtigt wurden, ist lange vorbei. Diskriminierenden Sprüchen und anzüglichen Bubenspielchen, die unter pubertierenden und post-pubertierenden jungen Männern in Uniform und in Zivil häufiger vorkommen als im Gesamtdurchschnitt der Bevölkerung, kann und sollte die Truppe aber anders begegnen, als mit dem starken Augenmerk, das von der Leyen der Sexualität der Soldaten nun widmet.

In der Konzeption der Verteidigungsministerin ist der moderne, diskriminierungsfreie Umgang mit der sexuellen Vielfalt ein Beitrag, um die Bundeswehr als modernen Arbeitgeber zu präsentieren. Aber auch damit wagt sie einen Grenzgang. Natürlich ist die Bundeswehr eine moderne Armee, mit modernem Führungs- und Managementverständnis, in der Diskriminierung welcher Art auch immer geächtet sein muss. Aber kann die Truppe ein moderner Arbeitgeber sein, wenn sie im Notfall Leib und Leben ihrer Mitarbeiter in Uniform riskiert, wie es ihr Auftrag ist? Wo es ums Eigentliche geht, wird der Arbeitgeber Bundeswehr immer eher steinzeitlich als zeitgemäß wirken müssen. Das zu kaschieren ist auch im tiefsten Frieden nicht akzeptabel.

Von den eigentlichen Problemen der Truppe wird abgelenkt

Aus all diesen Gründen ist Ursula von der Leyens Initiative fragwürdig. Sie erleichtert es der ambitionierten Ministerin allerdings, im Wahljahr von den vordringlichen Problemen der Streitkräfte – dem Mangel an Nachwuchs, dem die Ministerin bisher nicht wirklich beikommt, und den Ausrüstungsmängeln – abzulenken. Ob die Ministerin der Bundeswehr auf diese Weise ein moderneres Image verpassen kann, ist fraglich. Dass sie damit ihr eigenes Image als unerschrockenen Kämpferin für ein modernes Gesellschaftsbild so poliert, ist es nicht.