Fädelte den Deal mit General Electric ein: Alstom-Chef Patrick Kron Foto: EPA

Alstom-Posse zeigt Frankreichs Sichtweise auf die Wirtschaft. Präsident Hollande will den Energiemarkt nicht den Amerikanern überlassen. Mit ökonomischer Logik habe das nichts zu tun, es gehe ums Prestige, kommentiert StN-Berlin-Korrespondent Norbert Wallet.

Berlin - Wirtschaft wird in der Wirtschaft gemacht? Nicht doch. Das ist die reine Lehre der Wissenschaft. Die Realität sieht anders aus. In Frankreich sieht sich die Politik über alle Parteigrenzen hinweg als bedeutender ökonomischer Mitspieler, ja Mitgestalter. In Deutschland ist das vielleicht gar nicht anders, nur wird es öffentlich nicht so laut gesagt. Hierzulande wird in den Sonntagsreden hingebungsvoller das Hohelied des freien Marktes gesungen. Der Staat, so der gern erweckte Eindruck, soll bei uns eher die Rolle des Linienrichters im ökonomischen Spiel ausfüllen, in Frankreich dagegen versteht er sich mindestens als Schiedsrichter – wenn nicht als Mittelstürmer.

Der Fall Alstom passt da sehr gut ins Raster. Geschickt und ziemlich heimlich hatte Patrick Kron, Chef der französischen Industrie-Ikone, den Deal mit General Electric eingefädelt. Die Amerikaner wollen die Energietechnik-Sparte der Franzosen übernehmen und legen ein Angebot von 12,35 Milliarden Euro vor. Kron begründet das Geschäft mit plausiblen wirtschaftlichen Argumenten. Die Amerikaner hätten „komplementäre“ Stärken, es würde also eine neue schlagkräftige Einheit entstehen, und außerdem überzeugte die investive Power der Amerikaner.

Eigentlich alles ganz normal. So funktioniert Marktwirtschaft. Aber jetzt schaltet sich der französische Staat ein. Das besonders Ärgerliche daran sind die kläglich durchschaubaren Motive, aus denen die Einflussnahme der Regierung geschieht. Nach dem Teilverkauf des traditionsreichen Autobauers Peugeot an die Chinesen droht die Zerschlagung eines weiteren Großsymbols nationaler Wirtschaftsstärke. Das passt dem Präsidenten Hollande natürlich nicht ins Konzept, da es wie eine Bestätigung daherkommt, dass dieses Staatsoberhaupt seiner Sache nicht gewachsen ist. Und dass es zudem die in Frankreich stets kritisch beäugten Amerikaner sind, die Einfluss auf den nationalen Energiemarkt nehmen wollen, ist noch das Allerschlimmste. Mit ökonomischer Logik hat das alles nichts zu tun. Es geht um Prestige, um nationalen Dünkel und um Wahlchancen.

Es sollte Siemens zu denken geben, dass es diese offensichtlichen politischen Motive sind, die ihn nun überhaupt erst ins Spiel bringen, denn erst auf massivem Druck des französischen Wirtschaftsministeriums kann sich Siemens mit einem eigenen Konzept um Alstom bewerben. Es macht keinen guten Eindruck, dass die Münchener nun hastig mit einem Konzept ins Rampenlicht treten. Sie erscheinen somit mehr als williger Gehilfe des französischen Staates denn als rationaler und strategisch planender Konzern. Vielleicht zu Unrecht, denn das präsentierte Konzept, das die eher lustlos betriebene Bahnsparte ganz den Franzosen überlassen will, ist nicht ohne Plausibilität. Aber in der öffentlichen Wirkung des Vorgangs läuft alles auf einen Imageschaden für Siemens hinaus, den man sich doch hätte ersparen sollen.

So weit, so klar. Nur sollte sich der Spott über die Wirtschaftspolitik à la Hollande in sehr engen Grenzen halten. Die deutsche Praxis sieht prinzipiell nicht anders aus. Wenn hundert Firmen mit jeweils hundert Beschäftigten Schwierigkeiten haben, kommt der Staat jedenfalls nicht als Helfer. Warum auch? Wenn aber ein Unternehmen mit 10 000 Beschäftigten bedroht ist, wird mit Vehemenz die öffentliche Helferdebatte geführt. Die Beispielkette reicht von Holzmann über Schlecker bis zu Opel. Allerdings hat Deutschland immerhin einen wichtigen Vorteil gegenüber den Franzosen: eine Industriestruktur, die sich auf mittelständische, familiengeführte Unternehmen stützen kann.

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