Die gesellschaftliche Akzeptanz lässt häufig zu wünschen übrig Foto: dpa-Zentralbild

Wer will widersprechen, dass die deutschen Gesetze, die sich mit den Rechten homosexueller Lebenspartnerschaften befassen, deutlich liberaler sind, als es die gesellschaftliche Akzeptanz in breiten Bevölkerungsschichten noch immer ist.

Stuttgart - Nichts Genaues weiß man nicht. Also rät der renommierte Fanforscher Gunter A. Pilz aktiven Fußballprofis, sich nicht als homosexuell zu outen. Schließlich müsse der Spieler hinterher die Konsequenzen tragen. Und niemand könne vorhersagen, wie ein Stadion voller Fans auf einen bekennenden schwulen Fußballprofi reagieren würde. Die Kulturwissenschaftlerin Tatjana Eggeling dagegen glaubt, dass die große Mehrheit der Fans beim Coming-out eines aktiven Fußballprofis positiv reagieren würde. Man dürfe die Anhänger „nicht für dumpfer halten, als es manche vielleicht sind“, sagt Eggeling, die sich seit Jahren mit Homosexualität und Homophobie im Spitzensport beschäftigt. Was also?

Wer will widersprechen, dass die deutschen Gesetze, die sich mit den Rechten homosexueller Lebenspartnerschaften befassen – vor allem bei Adoptionsrecht, der Eheschließung oder steuerlicher Einordnung – deutlich liberaler sind, als es die gesellschaftliche Akzeptanz in breiten Bevölkerungsschichten noch immer ist. „Viele Menschen geben sich nach außen offen, sind dann aber erschrocken, wenn sie zwei Männer beim Schmusen sehen“, sagt Pilz. Doch auch wenn man es beklagen und – wenn es denn wirklich etwas hilft und nutzt mit neuen Bildungsplänen – eindämmen muss: Die Lebenswirklichkeit ist, nicht nur in den Stadien, sondern auch auf Schulhöfen, eine andere. Klingen deshalb viele Äußerungen, die dem seit wenigen Tagen bekennenden homosexuellen Ex-Fußballprofi Thomas Hitzlsperger entgegenbranden, seltsam leblos? Mut wird ihm attestiert, Entschlossenheit auch. Eine Leitbildfunktion wird ihm zuerkannt, verbunden mit der Hoffnung, andere mögen ihm folgen. Und um fast immer hintanzufügen, sexuelle Vielfalt, also auch Homosexualität, sei doch längst das Normalste von der Welt.

In der Sache mag das so sein – nimmt man die glasklare Gegenposition der Katholischen Amtskirche einmal aus. Der Umgang mit der Homosexualität aber ist es nach wie vor nicht. Eine pluralistische Gesellschaft muss mit dieser Diskrepanz umgehen können. Muss unterscheiden. Zwischen dem, was zwingend an Toleranz und entschlossenem Kampf gegen jede Diskriminierung nötig ist. Und dem, was darüber hinaus an Zurückhaltung und Skepsis gegenüber homosexuellen Lebensentwürfen hinnehmbar sein sollte.

Vorurteile abbauen – darum geht es. Aber auch darum, das Augenmaß nicht zu verlieren. Geht es nach Lesben- und Schwulenverbänden sollen auch in Baden-Württemberg demnächst Schulbücher aufgelegt werden, die „nicht immer diese Bilderbuchfamilie mit Papa, Mama, Tochter, Sohn“ zeigen, sondern auch gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften oder Regenbogenfamilien. Wer da nachdenklich zögert, wird schnell in die rechte Ecke gestellt. Was polarisiert und niemandem nutzt. Ja, es geht um homosexuelle Lebensentwürfe, in denen Liebe, Fürsorge, Verantwortung für Groß und Klein genauso ihren Platz finden wie in heterosexuellen Bindungen. Ja, von Fall zu Fall betrachtet oft auch besser. Aber muss man deshalb permanent wie sendungsbewusst sein Sexualleben vor dem Rest der Gesellschaft ausbreiten?

Eine „ungeheuer kühne Tat“ nennt die Zeitung „Sowjetski Sport“ vier Wochen vor den Olympischen Winterspielen in Sotschi Hitzlspergers Coming-out. Das mag in Russland stimmen, wo positive Äußerungen zur Homosexualität vor Kindern, nicht aber die Hetze gegen Schwule und Lesben unter Strafe stehen. Barack Obama und Joachim Gauck bleiben auch deshalb zu Hause. Hitzlsperger hat nach langem Zögern eine Entscheidung getroffen. Sehr persönlich. Schon deshalb eignet er sich weder als Held noch als Märtyrer.

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