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In der ARD wird künftig fünfmal pro Woche getalkt – aber wer hört zu, fragt Bettina Hartmann.

Stuttgart - Zuhören? Hinhören? Vielleicht sogar verstehen? Eine aussterbende Kunst! In unserer Gesellschaft lässt die Bereitschaft, sich auf andere einzulassen und ihren Standpunkt begreifen zu wollen, immer mehr nach. Und so scheint die Neusortierung in der ARD ein logischer Schritt zu sein: Der Sender wirbelt seine politischen Talkshows durcheinander, platziert sie auf neue Sendeplätze, ergänzt sie um eine Sendung - und verkauft das Dauerpalaver als Programmoffensive. Fünfmal pro Woche wird nun getalkt - also nicht miteinander, sondern oft genug gegeneinander geredet. Mal sehen, wer heute Abend bei Anne Will, die von Sonntag auf den Mittwoch rückt und den Anfang der sogenannten Programmreform macht, Andersdenkende plattquatscht. Thema: "Wut im Bauch".

Bei Bedarf können sich die Zuschauer die volle Schwafeldröhnung ins Wohnzimmer holen.Frank Plasberg (montags), Sandra Maischberger (dienstags), Anne Will (mittwochs), Reinhold Beckmann (donnerstags) und der Neuzugang Günther Jauch (sonntags) bringen es gemeinsam auf 360 Sendeminuten. Zählt man die ZDF-Pendants und all die Wiederholungen in den Dritten, Schwestersendern und Digitalkanälen hinzu, kommen jede Woche mehr als 25 Stunden öffentlich-rechtlicher Polittalk zusammen. Wer will da noch zuhören? "Unterhaltung ist auch ein Grundrecht der Menschen", sagt ARD-Programmchef Volker Herres. Doch was, bitte schön, soll daran unterhaltsam sein, wenn Woche für Woche die immer gleiche Politiker-Karawane durch die Studios zieht?

Raum für kontroverse Debatten und demokratischen Meinungsaustausch, wie von den Senderverantwortlichen so gern betont, bieten die Polittalks nach Ansicht von Medienexperten nämlich nicht. Uwe Kammann, Leiter des Grimme-Instituts, befürchtet nur eine Abwertung des Formats. Der Kulturjournalist Alexander Kissler dagegen geht weiter: Er glaubt, dass Talkshows die Politikverdrossenheit fördern. Und tatsächlich bieten die Sendungen den Politikern vor allem eins: eine prima Plattform, um sich zu vermarkten. Botschaften werden selten vermittelt, Lösungen gar nicht. Wie auch! Probleme sollen schließlich anderntags noch von der Konkurrenz beackert werden.

Dennoch haben die Deutschen bisher mit erstaunlich viel Geduld und noch mehr Sitzfleisch zugeschaut, vielleicht in der Hoffnung, doch noch einen neuen Ansatz, eine frische Idee präsentiert zu bekommen. Die Quote hat die ARD mit ihrer Umstrukturierung auch weiter maßgeblich im Blick. Mit Jauch hat sie einen Publikumsliebling ins Boot geholt. Für die Aufmerksamkeit, die der Star bringt, ist die ARD offenbar bereit, viel Geld, sprich: die Gebühren der Zuschauer, auszugeben.

Ob das Konzept aufgeht? Mehr Profil dürfte sich die ARD mit dem Aufwärmen altbekannter Sendeformate nicht verschaffen. Und vermutlich auch kaum die dringend benötigten jüngeren Zuschauer locken. Die muss man laut Programmchef Herres "in ihrer Sprache erreichen". Dafür hat man sich ausgerechnet Jauch und Thomas Gottschalk, zwei eher ältere Herren, von der Konkurrenz geangelt. Statt einer großen Samstagabendshow soll Gottschalk - ebenfalls als Teil der Offensive - viermal die Woche eine interaktive Live-Sendung präsentieren, mit Gästen über die Themen das Tages plaudern und mit der Generation Facebook chatten. Zu den Big Five gesellt sich von Januar an also der sechste ARD-Talker.

Eins zumindest ist damit klar: Die Ära der großen Fernsehshows, bei denen sich die Familie samstagabends gebadet und gekämmt vor dem Bildschirm versammelte, ist endgültig vorbei. Das Schichten und Generationen verbindende Fernsehen ist tot. Die nächste ARD-Offensive dagegen kommt bestimmt.