CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt und SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles stellen den aktuellen Stand der Koalitionsverhandlungen in Berlin vor. Foto: dpa

So wie es bei den Koalitionsverhandlungen läuft, steigt der Wunsch nach Neuwahlen. Das ist nur zu verständlich, meint StN-Chefredakteur Christoph Reisinger.

Berlin - Wer am Abend der Bundestagswahl noch glaubte, eine Koalition von Union und SPD werde zum Segen für die Republik, hat allen Grund so langsam wach zu werden. Was sich da zusammenbraut, ist finstere, sündhaft teure Klientelpolitik. Verdichtet zu einem Koalitionsvertrag, über den zwar die Mitglieder der SPD abstimmen und manche Mitglieder der CDU etwas sagen dürfen. Ohne aber am Charakter dieser Koalition noch etwas zu ändern: eine Zwangsgemeinschaft, deren Ziele nicht weiter reichen, als irgendwie vier Jahre über die Runden zu kommen.

Hochverdient, dass dieses Regierungsbündnis, noch ehe es steht, in Umfragen von 58 auf 44 Prozent Zustimmung abgetaucht ist. Als ob es kein Morgen gäbe, werfen CDU, SPD und CSU die Verteilmaschine an. Mütterrente der Union? Kostet rund 6,5 Milliarden Euro. Abschlagsfreie Rente nach 45 Versicherungsjahren der SPD? Schwupps, da kommen weitere vier Milliarden obendrauf. Aber alles kein Problem, die Rentenkassen sind ja voll in diesem Herbst. Ob sie das im Frühling 2015 noch sein werden, schert die Verhandlungspartner nicht.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Den Rentnern sei jeder Cent gegönnt. Aber klar ist: Die sich gerade androhende Koalition bedient im Grundsatz jene Generation von Ruheständlern, der es im Durchschnitt besser geht als allen anderen vor ihr. Wohl wissend, dass die Rente für die unmittelbar folgenden Generationen alles andere als sicher ist. Weil noch keine Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft dieser Welt den Nachweis erbracht hat – und das auch nicht musste –, dass sie ein Schrumpfen der alteingesessenen Bevölkerung in dem Ausmaß wegsteckt, wie es sich für Deutschland abzeichnet.

Auf solche Zukunftsfragen finden sich keine Antworten in dem, worüber die Koalitionspartner konkret reden. Was grob fahrlässig ist, weil es da um eine nahe Zukunft geht. Und wer, wenn nicht ein Regierungsbündnis, das im Bundestag über eine Vier-Fünftel-Mehrheit verfügt, soll solche Fragen hart und schlüssig beantworten? Doch Schwarz-Rot macht noch nicht einmal Anstalten, Altlasten zu bewältigen. Etwa das ultraplanwirtschaftliche Monstrum, das sich Energiewende nennt und zig Milliarden Euro Volksvermögen verschlingt.

Also doch Neuwahlen? Sie hätten was – auf den ersten Blick. Doch genau besehen, bieten sie keinen Ausweg zum Besseren. Schon deshalb nicht, weil Union und SPD damit ein hohes Risiko eingehen würden. Nichts deutet darauf hin, dass die FDP diese zweite Chance nutzen und als Koalitionspartnerin der Union zurückkehren könnte. CDU und CSU hätten sich im Bundestag auf die Angriffe der Alternative für Deutschland einzustellen. Am schlechtesten aber stünde die SPD da. Ohne schon wieder erstarkte Grüne, ohne zugkräftigen Spitzenkandidaten, ohne Thema – und womöglich von vielen Wählern für das Scheitern der Regierungsbildung verantwortlich gemacht.

Außerdem: Was würde sich durch Neuwahlen in der Sache ändern? Mit ihrem ans Teilnahmslose grenzenden Verhalten zeigt Angela Merkel in diesen Tagen, dass sie zwar weiterregieren will. Aber nicht, um Neues zu gestalten.

Das aber ist es, was Deutschland in den kommenden Jahren braucht. Die irrwitzigen Schulden bewältigen, die steigende Belastung der Sozialsysteme und den Spagat zwischen Energiehunger und Klimaschutz – all das liegt an. Und auch die Verteidigung der Freiheit und die internationalen Verpflichtungen. Danach, dass diese sogenannte Große Koalition irgendetwas davon anpacken wird, sieht es im Moment aber nicht aus.

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