Ina Schlingensiepen als Theres, Dilara Bastar als Fantasio Foto: Falk von Traubenberg

Als 1887 die Pariser Opéra-Comique in Flammen stand, verbrannte auch das Orchestermaterial von Jacques Offenbachs fünf Jahre zuvor dort uraufgeführtem „Fantasio“. In Karlsruhe strotzt die frisch rekonstruierte komische Oper jetzt aber vor Leben.

Karlsruhe - Mei, is des schee! Auf der Bühne des Badischen Staatstheaters regiert biedere bajuwarische Beschaulichkeit: kleine Fachwerkhäuschen, bunte Blumenkästen, Kirche mit Zwiebelturm, putziges Schloss vor Alpenblick. Um das Puppenstuben-Städtchen hat der Bühnenbildner Friedrich Eggert ein Band aus blau-weißen Rauten geschlungen.

Kein Zweifel, wir sind in Bayern. Weil dieses hier von einem König regiert wird, der aussieht wie Ludwig II. (die Kostüme hat Alfred Mayerhofer entworfen), hat das schöne Bayern aber leider ebenso wenig Geld in der Kasse wie weiland der kunstsinnige Märchenkönig. Deshalb geht es in den folgenden zwei Stunden um: Zwangsverheiratung und Liebe über alle Standesgrenzen hinweg; um Adel, den man erbt und um Adel, den man im Herzen trägt – wobei den Mächtigen nebenbei mächtig der Marsch geblasen wird.

„Fantasio“, die 1882 uraufgeführte Oper des in Köln geborenen und später in Paris lebenden Jacques Offenbach , erfüllt in vielen Belangen, was wir von diesem Komponisten erwarten: Das Stück hat Geist, Witz, Ironie, motorische Energie und politische Sprengkraft. Es hat aber auch etwas Sentimentales, ja fast Resignatives, das schon in der sehr solistisch gehaltenen Ouvertüre anklingt und das am Ende in einen Monolog des Titelhelden mündet, dessen Friedensbotschaft überraschend moralinsauer und (ebenso überraschend für Offenbach) schwerfällig und aufgesetzt wirkt.

Dabei hat die Aufführungsgeschichte der Oper selbst das Zeug zum Libretto. Da gibt es inen Opernbrand, einen im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 zwischen den Fronten zerrissenen jüdischen Komponisten. Da sind Nachfahren, die einander spinnefeind sind und die Teile der handschriftlichen Partituren in alle Welt verscherbeln. Da sind ein verschollenes Textbuch, verschiedene Fassungen und ein Couplet, das ein Forscher erst vor drei Jahren in einer Kommode entdeckte.

Dieser Musikwissenschaftler, Jean-Christophe Keck, hat aus Schnipseln den mutmaßlich kompletten und instrumentierten „Fantasio“ der Uraufführung rekonstruiert, und nach der sehr schönen CD-Aufnahme einer konzertanten Aufführung in London (mit dem Orchestra of the Age of Enlightenment unter Mark Elder, mit Sarah Connolly und Brenda Rae, erschienen bei Opera Rara) gab es jetzt am Badischen Staatstheater Karlsruhe die erste szenische Aufführung der Neuedition.

Dass diese Aufführung überzeugend und außerdem ausgesprochen unterhaltsam gerät, ist neben dem Bühnenbildner zuallererst dem Regisseur und dem Choreografen zu danken, der Offenbachs tänzerischen Impetus in witzige Bewegungsmuster fasst.

Bernd Mottl hat ein sicheres Händchen für die Mechanismen der Komödie, für Situationskomik, für Brechungen und für die heiklen Übergänge zwischen Witz und Ernsthaftigkeit, Ironie und Wahrhaftigkeit. Er nimmt nicht immer die Handlung, wohl aber die Figuren ernst, und so glückt ihm sogar die kleine, feine Regie-Pointe: Am Ende outet sich Fantasio, eine Hosenrolle für Sopran (Dilara Bastar), als Frau – was das Grenzsprengende ihrer Liebe zur Prinzessin Theres (glänzend und koloratursicher: Ina Schlingensiepen) heute wenigstens ein bisschen erahnen lässt. Dass der vor allem selbstverliebte Herzog von Mantua, dessen Schürzenjäger-Image Offenbach von Verdis „Rigoletto“ entlieh, lediglich von einem männlichen Statisten begehrt wird, zielt in dieselbe Richtung.

Der Choreograf Otto Pichler macht nicht nur den immer wieder durchs Bild marschierenden sehr bayerischen Trachtenmenschen Beine, sondern stylt auch ganz prächtig die Auftritte des Chores sowie der Studenten, unter denen Dennis Sörös als Spark herausragt. Außerdem sorgt Pichler für ein ungemein witziges, gestenreiches Duett des Herzogs (Gabriel Urrutia Benet) mit seinem Adjutanten, dem grandios singenden und spielenden Klaus Schneider. Dass der Schluss ziemlich aufgesetzt und mancher Charakterzug, manche Entwicklung der Figuren holzschnittartig bleiben, kann er allerdings ebenso wenig ändern wie der Regisseur.

Die Musik bohrt sich in die Ohren. Andreas Schüller hält als Dirigent die charakteristisch instrumentierte Partitur mit ihren strukturbildenden drei Liebesduetten, den parodistisch getönten Marsch-Anklängen und den melancholischen Einwürfen von Bläsern und Celli sehr leicht, luftig und mit ausgeprägtem Willen zu größtmöglicher Beweglichkeit. Dass die Badische Staatskapelle ihre Aufgabe leider nicht immer mit letzter Präzision erledigt, macht nichts, denn am Ende sind sowieso alle glücklich. Das Volk jubelt ohnehin, „Für Kummer und Leid hat man später noch Zeit“ ist das Motto des Tages, und sogar der Herzog ist zufrieden: „Obwohl der Krieg mir liegt, ist auch Frieden nicht schlecht.“ Macht mehr Offenbach!

Nochmals am 18., 28. und 31. 12. sowie am 3., 9. und 16. 1.; Karten: 07 21 / 93 33 33