Man braucht nicht viel zum Meditieren, nur Zeit Foto: dpa

Ist es ein Skandal, wenn ein indischer Beamter trotz mehrfacher Aufforderung 25 Jahre lang nicht zur Arbeit erscheint? Nicht unbedingt, mein StN-Autor Tom Hörner.

Neu Delhi - 25 Jahre sind eine lange Zeit. In 25 Jahren kann man beispielsweise ein Vierteljahrhundert älter werden. In 25 Jahren kann man ein Haus zeugen, einen Baum bauen und einen Sohn pflanzen. In 25 Jahren fährt der Durchschnittsdeutsche im Schnitt 300 000 Kilometer und verschleißt dabei 1,38 Neuwagen. Wer dem deutschen Scheidungstrend folgt und eine Ehe nach sieben Jahren an die Wand fährt, kann in 25 Jahren viermal heiraten.

Sie sehen, meine Damen und Herren, man kann in 25 Jahren allerlei Unsinn anrichten. Insofern verstehe ich nicht, warum der Deutschen Presse-Agentur das folgende Ereignis eine Meldung wert war: Ein indischer Beamter wurde entlassen, weil er 25 Jahre nicht zum Dienst erschienen war. Der Mann war leitender Ingenieur des Ministeriums für Stadtentwicklung in Neu-Delhi und 1990 das letzte Mal an seinem Arbeitsplatz gesehen worden. Der Mann habe, so heißt es, sämtliche Anweisungen, zum Dienst zu kommen, ignoriert. Er war 1992 der „vorsätzlichen Abwesenheit vom Dienst“ für schuldig befunden worden. Erst jetzt flog er raus.

Zugegeben, der Mann hat 25 Jahre nichts gemacht. Aber dies bedeutet auch, dass er 25 Jahre nichts falsch gemacht hat. Wer von uns kann das von sich behaupten? Gerade als leitender Ingenieur im Ministerium für Stadtentwicklung kann man allerhand Schaden anrichten. Vielleicht hat der Mann durch Abwesenheit in 25 Jahren das Schlimmste verhindert. Vielleicht hat er etwas in der Zeit gemacht, das viele von uns auch tun sollten. Vielleicht hat er 25 Jahre lang meditiert.

Ich komme drauf, weil ich gerade „Triffst Du Buddha, töte ihn!“ von An-dreas Altmann lese. In dem Buch berichtet der Autor, ein Reiseschriftsteller, über einen Selbstversuch in einem indischen Meditationszentrum. Vereinfacht gesprochen vertritt Altmann die These, dass Meditieren nicht nur ihm, sondern auch seinen Mitmenschen nütze.

Bevor Sie Montag wieder schlecht gelaunt zur Arbeit gehen, überlegen Sie, ob der indische Weg nicht der bessere ist.