Kleines Tier mit großem Aufregerpotenzial: der Juchtenkäfer Foto: dpa

Dass zu fällende Bäume mit Käferkot präpariert worden sein sollen, zeigt, welch groteske Blüten der Streit über Stuttgart 21 getrieben hat, meint Lokalchef Holger Gayer.

Stuttgart - Eigentlich hätte an dieser Stelle eine heitere Abhandlung über das Zusammenleben von Mensch und Tier stehen sollen. Was ist nicht alles geschehen in den vergangenen Tagen? „Erste Eulen, Greif- und Singvögel rund um den Valentinstag auf Liebestour“, vermeldete der Naturschutzbund Nabu schon am Freitag vor einer Woche, um am Dienstag nachzulegen mit der Erkenntnis: „Wieder mehr Wintervögel in den Gärten.“ Kurz darauf kam die Nachricht von den Wanderfalken, die neuerdings auf dem 107 Meter hohen Gewa-Tower in Fellbach brüten. Wo die Vögel ihr Nest gebaut haben, sollten ursprünglich Menschen ihr Eigenheim beziehen – für 7800 Euro pro Quadratmeter. Doch inzwischen ist der Investor pleite und das Hochhaus eine Ruine. Und schließlich die Meldung von den 1200 Regenwürmern pro Quadratmeter Sportplatz, die auf dem Gelände des VfL Oberjettingen zeigen, wie verdichtetes Wohnen funktioniert. Der Kostenvoranschlag für die Sanierung des Rasensplatzes: 400 000 Euro. Was es nicht alles gibt auf der Welt . . .

Doch am Donnerstagabend nahmen die kuriosen Episoden aus dem Reich der Tier- und Menschenwelt eine andere Wendung. Die Bahn verkündete, dass in einem der Bäume, die am Rosenstein für Stuttgart 21 gefällt wurden, eine Flasche gefunden wurde. Deren Inhalt: Kot und abgebrochene Flügel diverser Käferarten. Seither besteht der Verdacht, dass irgendwann in den vergangenen vier Jahren ein Mensch dort die Natur manipulieren wollte. Offensichtlich sollte der Eindruck erweckt werden, dass es sich bei den zu fällenden Bäumen um den Lebensraum des streng geschützten Juchtenkäfers handele. Was so eine Nachricht für die Bahn hätte bedeuten können, war klar: weitere potenzielle Verzögerungen, weitere Kosten, weiteren Ärger.

Der Artenschutz ist ein scharfes Schwert

Schon seit langem wissen Bauherren und deren Gegner, welch scharfes Schwert der Artenschutz ist. Die vor 35 Jahren aufgenommene musikalische Klage der Gruppe Gänsehaut („Karl der Käfer wurde nicht gefragt, man hatte ihn einfach fortgejagt“) ist längst in ihr Gegenteil verkehrt worden. Ganz gleich, ob das Große Mausohr (eine Fledermausart), der Blauschwarze Moorbläuling (ein Schmetterling) oder die halberwachsene Raupe eines Nachtkerzenschwärmers (ein Falter) entdeckt wird – die Konsequenz sind still stehende Bagger. In Hamburg hat der Schierlings-Wasserfenchel (eine krautige Sumpfpflanze) die Elbvertiefung verhindert. In Stuttgart zahlt die Bahn laut dem S-21-Chef Manfred Leger bis zu 8600 Euro pro Eidechse, die wegen des Tiefbahnhofprojekts umgesiedelt werden muss. Ein Wahnsinn sei das, sagen die Investoren. Ein Glück sei das, entgegnen die Naturschützer. Recht und Unrecht haben beide. Am Ende ist es wie immer: eine Frage der Verhältnismäßigkeit.

Im Fall der möglichen Juchtenkäfermanipulation am Rosenstein verhält sich die Sache freilich anders. Bestätigt sich der Verdacht, dass dort mit unlauteren Mitteln versucht wurde, dem Projekt Stuttgart 21 Schaden zuzufügen, hat der Täter auch den Parkschützern und S-21-Gegnern einen Bärendienst erwiesen. Diese nach dem Buchstaben des Gesetzes möglicherweise nicht strafbare, in ihrer Wirkung aber fatale Aktion hat sogar das Zeug, den alten Konflikt wieder anzufeuern, diesmal allerdings aus Sicht der Projektbefürworter.

Beide Seiten haben mit gezinkten Karten gespielt

Zu empfehlen wäre aber allen Stuttgart-21-Streitern von früher eine große Portion Gelassenheit. Denn spätestens seit dieser Woche dürfte klar sein, dass Käfer- und Kefer-Freunde gleichermaßen mit gezinkten Karten gespielt haben. Eine traurige Erkenntnis, fürwahr. Aber auch eine, die Raum lässt für die Hoffnung, dass der Mensch aus seinen Fehlern lernt.