Noch fehlt die Todestaste auf vielen Tastaturen Foto: Fotolia

Seine Urlaubs-Selfies, Lieblingssongs und Mahlzeiten kann man bei Facebook auch mit Toten teilen und ihnen zum Geburtstag gratulieren. Wird das soziale Netzwerk zum riesigen Internetfriedhof?

Stuttgart - Die pralle Rückseite einer braun gebrannten Bikiniträgerin ist auf dem Chronikfoto von Bernds privater Facebook-Seite zu sehen. Der Stoff des Höschens ist so knapp, dass zwei Wörter aus dem Fotoshop genügend Platz auf der Haut finden. „Happy“ steht auf der linken Po-Backe, „Birthday“ auf der rechten.

Mit ulkigen Fotos wie diesem gratuliert man sich heutzutage in sozialen Netzwerken zum Geburtstag. Manche begnügen sich aber auch mit kurzen Standardwünschen. „Alles Gute“, so ist auf Bernds Chronik mehrfach zu lesen. Und: „Mach dir einen schönen Tag.“ Ein zufälliger Besucher könnte sich denken: Nach der Anzahl der Posts muss Bernd beliebt sein.

Doch Bernd ist tot.

Bernd ist seit zwei Jahren tot. Mit seinem echten Namen (hier ist er geändert) ist er immer noch bei Facebook zu finden - ohne Trauerrand, dafür mit vielen Geburtstagsblumensträuße. Meinen früheren Kollegen Bernd kenne ich schon lange. Was er für mich war? Vom Begriff „Freund“ schreckt man zurück. Dieser wird bei Facebook ad absurdum geführt, wenn man sieht, wie viele einem toten „Freund“ gratulieren, von dem sie nicht wissen, was mit ihm geschehen ist.

Wird Facebook zum Deathbook?

Im März 2014 ist Bernd kurz vor seinem Geburtstag überraschend gestorben. Es war so, wie es immer ist. Morgens meldet Facebook mit einem „Pling!“, wer Geburtstag hat. Schon beginnt das kopflose Gratulieren. Einige Tage später schrieb jemand: „Wir haben hier Bernd unsere Glückwünsche übermittelt, ohne zu ahnen, dass er nicht mehr unter uns weilt.“

Dieser Eintrag ist noch immer zu lesen, was etliche nicht daran hindert, in diesem Jahr erneut Bernd zu gratulieren.

Wird Facebook zum Deathbook?

Im Jahr 2098, so hat ein Statistiker von der Universität Manchester errechnet, wird die Zahl der toten Facebook-Mitglieder die der Lebenden übertreffen.

Selbst wenn das Netzwerk über den Tod eines Mitgliedes informiert wird, bleibt sein Konto erhalten. Es kann lediglich in den „Gedenkzustand“ versetzt werden, sofern jemand über das Ableben mit Beweismitteln informiert. Um das Profil endgültig zu löschen, müssten die Angehörigen das Passwort des Toten kennen. Umsichtige Menschen, heißt es, sollten es notariell hinterlegen lassen.

So lange nichts gelöscht ist, teilen wir unsere Urlaubs-Selfies, unsere Lieblingssongs und unsere Mahlzeiten mit Toten.

Es fällt leicht, über Facebook herzuziehen - über ein Portal, das aus Amerika kommt, wo man nach dem ersten Glas Bier an der Theke den anderen als „my friend“ bezeichnet. Doch manchmal ist Facebook hilfreich. Vor drei Jahren hat sich bei mir ein User vom Bodensee gemeldet, um mich auf einen Fehler in einer Kolumne hinzuweisen. Fortan, schien es, las er alles, was von mir online ging. Und er schickte mir so gewissenhaft seine Korrekturen, dass ich mir sicher sein konnte, alles richtig gemacht zu haben, wenn von ihm nichts kam. Als er erfuhr, dass ich an einem Buch arbeitete, bestand er darauf, mein Manuskript gegenzulesen. Seine Korrekturen kamen umgehend zurück. Als Dank schickte ich ihm einige Bücher.

Dann hörte ich lange nichts mehr von ihm. Ich dachte, das kann nicht sein, dass ich seit Wochen keinen einzigen Fehler mehr gemacht habe. Ich schaute auf seine Facebook-Seite - und war fassungslos. Seine Tochter hatte seinen Tod gepostet.

Man braucht kein Facebook, um zu wissen, wie kurz das Leben sein kann. So kurz, dass man jeden einzelnen Tag nutzen sollte, ohne ihn stundenlang am Smartphone zu verplempern. Wenn Bernd es noch könnte – er hätte versucht, sich mit einer Bikini-Frau wie der auf seinem Chronikfoto zu verabreden. Und hätte gespottet über peinliche Gratulanten, die einem Toten einen schönen Tag wünschen.