Die Jusos kämpfen gegen eine Große Koalition. Foto: dpa

Die Juso-Eintrittskampagne zeigt, wie fragwürdig ein Mitgliedervotum bei Koalitionsverhandlungen ist, meint Politik-Redakteurin Katja Bauer.

Berlin - Ein Zehner gegen die Groko – auf diesen Satz haben Jusos ihre Kampagne zugespitzt, mit der sie für Parteieintritte vor dem anstehenden Mitgliedervotum der SPD werben. Gemeint ist damit: Wer wenig verdient, kann für zehn Euro zwei Monate Parteimitglied sein und so über die nächste Bundesregierung mitbestimmen. Diese Idee treibt die Betrachtung von Politik als Dienstleistung, die mit dem berühmten „ab jetzt wird geliefert“ der FDP begonnen hat, auf die Spitze. Aber Politik ist kein Pizzaservice, Demokratie ist ein komplizierter, manchmal nicht attraktiver und bisweilen unbefriedigender Prozess, der Kompromisse braucht. Die Juso-Kampagne erweckt damit den Anschein, als sei die Realität viel simpler.

Angefangen allerdings haben nicht die Jusos damit. Sie denken im Grunde nur die Idee des Mitgliedervotums einen konsequenten Schritt weiter und werfen damit augenfälliger als bisher eine Frage auf: Schafft die SPD als Partei in einer parlamentarischen Demokratie nun Wähler mit zwei Stimmen, die jenen mit einer Stimme überlegen sind? Die SPD ließ erstmals 2013 ihre Mitglieder über die große Koalition abstimmen. Einige der Argumente dafür sind durchaus nachvollziehbar: Einerseits ging es der Parteiführung darum, die Entscheidung für eine Groko zu legitimieren, nachdem man im Wahlkampf offensiv auf Rot-Grün gesetzt hatte. Zweitens bietet die Idee von mehr Beteiligung grundsätzlich eine Chance, Menschen mehr für politische Prozesse und Parteien zu interessieren und die Demokratie so zu stärken. Ein drittes Argument wurde nicht so offensiv vertreten – dürfte aber aktuell eine noch größere Rolle spielen als damals: Auch die CDU-Kanzlerin, die gerade vermutlich ihre letzten Koalitionsverhandlungen führt, muss für einen Erfolg um die Zustimmung der SPD-Basis bemüht sein. Mit diesem Druckmittel verhandelt es sich für die Sozialdemokraten leichter.

Ist es legitim, so viel Entscheidungsgewalt in die Parteien zu delegieren?

Genau da liegt auch das Problem des Mitgliedervotums: Am Ende werden fünf Monate nach der Bundestagswahl letztlich 440 000 (plus x) Wähler den Daumen über die künftige Bundesregierung heben oder senken. Gabriel war so 2013 begeistert von der Idee, dass er Bedenken als „Quatsch“ abtat und erklärte: Wenn nicht der Parteivorstand, sondern die ganze Partei entscheide, dann seien das mehr Leute, ergo demokratischer.

Um mal mit seinen Worten zu sprechen, ist das nun wirklich Quatsch. Natürlich kann man fragen: Ist es in einer parlamentarischen Demokratie legitim, so viel Entscheidungsgewalt aus dem Parlament in die Parteien und von dort dann zurück an eine kleine, durch Mitgliedschaft definierte Gruppe von Wählern zu delegieren? Wie schnell daraus eine Nebenwahl werden kann, war 2014 in Berlin zu beobachten. Nachdem Klaus Wowereit seinen Rücktritt als Regierender Bürgermeister in der Mitte der Legislatur bekannt gab, ließ die SPD ihre Basis über den Nachfolger entscheiden. Und sie betrieb aktiv Mitgliederwerbung mit dem Slogan: „Entscheiden für Berlin“. Eine Art Direktwahl des Regierungschefs exklusiv für Sozialdemokraten.

Natürlich weist das Grundgesetz auch ganz ohne Mitgliedervotum den Parteien die Rolle zu, an der politischen Willensbildung mitzuwirken. Aber wo ist die Grenze, wo wird das Parlament in seiner Macht beschnitten? Vor vier Jahren warnten die Staatsrechtler Christoph Degenhart und Hans-Detlef Horn in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, die Parteien präsentierten sich als „eine Art selbständige Zwischengewalt“. Wie das in der nahen Zukunft aussehen könnte, hat der SPD-Chef Martin Schulz unlängst angedeutet. Nach zwei Jahren wolle er den Koalitionsvertrag einer Evaluierung unterziehen und sehen, wo man stehe. Wie stünde dann ein gewähltes Parlament da, wenn die SPD ihre Basis dazu befragt?


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eine Kolumne von Sibylle Krause-Burger.