In der neuen Kolumne der Stuttgarter Nachrichten, "So ist S", können alle mitdiskutieren. Illustration: Yann Lange

Deutschland hat eine neue Integrationsbeauftragte. Natürlich hat sie einen Migrationshintergrund. Doch was ist das eigentlich, ein Migrationshintergrund? Darüber wird in der Kolumne „So ist S!“ diskutiert.

Ganz verschieden, völlig bunt, total gemischt! Stuttgart ist Vielfalt statt Einfalt, denn in dieser Stadt leben Stuttgarter aus aller Welt. Und genau diese Menschen – reingeschmeckte Stuttgarter, Stuttgarter mit Migrationshintergrund, aber auch alteingesessene Stuttgarter – erzählen fortan in den Stuttgarter Nachrichten ihre Allerwelts- und Alltagsgeschichten. In einer Kolumne mit dem Titel „So ist S“.

Stuttgart - Was ist eigentlich ein Migrationshintergrund? Welche Farbe hat er? Aus welchem Material ist er? Und warum ist er ein Hinter- und kein Untergrund? Ist er fest oder bröselig? Und kann man ihn einreißen? Kann er einstürzen?

Lassen wir zunächst einmal einen völlig Fremden zu Wort kommen: einen Hamburger. Jürgen Schwartz, Friseur mit einem Laden in Stuttgart-Süd, hat „eigentlich nichts gegen den Begriff Migrationshintergrund – das ist besser als das doofe Wort Ausländer“. Er hat dennoch – nicht ganz ernst gemeinte – Alternativvorschläge: „Wie wär’s mit ausländeranteilige Mitbürger?“, sagt Jürgen Schwartz. „Oder andersrum: Nichtdeutschanteilige Mitbürger?“

Anna Ioannidou sagt: „Bei dem Wort Migrationshintergrund kommt mir sofort eine kunterbunte Farbpalette in den Sinn! Ich bin eben mit dem Wort großgeworden. Aber warum die Migration im Hintergrund sein und folglich ins Hintertreffen geraten soll, hat sich mir bis heute nicht erschlossen.“ In ihrem Geburtsland Griechenland verwende man das Wort heterogen, sagt die Rechtsanwältin. Das wiederum erinnere an Thilo Sarrazin, der für Homogenität plädiert. „Doch, sind wir nicht alle heterogen?“ fragt sie. Das wiederum führt zu noch mehr Fragen. Sagt man, jemand sei ein heterogener Grieche? Oder eine heterogene Person? Oder ist nur die Gesellschaft heterogen? Anna Ioannidou: „Gute Fragen! Die Griechen jedenfalls beziehen es auf die Person.“ Jürgen Schwartz antwortet darauf: „Heterogen würde ich jetzt eher auf die Gesellschaft beziehen, aber einen multikulturellen Menschen kann ich mir eher vorstellen. Oder wie wäre es mit Homo Patchwork?“

Ist das Wort Migrationshintergrund beleidigend? Oder schlicht ein dämliches Wort, das ohne nachzudenken benutzt wird? Juri Iveljic hat dazu eine klare Meinung: „Ich habe einen Migrationshintergrund – und bin stolz drauf! Ich wäre eher beleidigt, nicht als Mensch mit Migrationshintergrund bezeichnet zu werden!“, sagt er. Und wenn andere das anders sehen? „Wer sich darüber aufregt oder beleidigt fühlt: mein Gott! Europa ist groß. Man kann auch woanders probieren, sich zu integrieren.“

Gut, aber was ist Juri Iveljic denn nun für ein Gewächs? Bosnier? Kroate? Schwabe? Und was ist Vordergrund und was Hintergrund? Und wem drückt er bei der Weltmeisterschaft die Daumen? Dem Bosnier Ibisevic? dem Kroaten Modric? Oder dem Deutschen Özil? Auch dazu findet er deutliche Worte: „Ich bin ein Kroate aus Bosnien! In Stuttgart geboren. Im Vordergrund steht die kroatische und bosnische Kultur, im Hintergrund stehen die Werte, die ich von meinen Eltern mitbekommen habe.“

Aber er ist doch in Stuttgart geboren – fühlt er sich nicht doch irgendwie auch als Deutscher? „Ich kann mich nicht als Deutscher fühlen – nicht nur wegen der Mentalität. Das ist Quatsch. Ich bin ein IC(itsch)und fertig! Wenn ich darüber anders denken würde, hätte ich einen deutschen Pass. Aber so? Passt schon! Ich identifiziere mich mehr mit Kroatien! Ich war Ende März dort, beim Spiel Kroatien gegen Serbien. Da habe ich gemerkt: Juri, du bist Kroate! Da gibt’s nichts! Die Daumen drücke ich Ibisevic und Modric! Ganz klar.“

Und was ist, wenn Deutschland spielt? „Deutschland? Die spielen super! Aber ich gucke deren Spiele immer neutral. Ich habe da keine Sympathie oder Antipathie. Das ist, wie wenn ich die Türkei, Griechenland oder Italien anschaue“,sagt Juri Iveljic.

Kerim Arpad, Vorsitzender des Deutsch-Türkischen Forums, findet den Begriff Migrationshintergrund auch unumgänglich – wenn auch aus völlig anderen Gründen. „Natürlich sind wir alle Stuttgarter, wie ein früherer Oberbürgermeister allerorts gerne zu sagen pflegen – und das ist auch gut so!“, schreibt er. „Nur brauchen wir zumindest bei einigen wichtigen Kennzahlen noch den Migrationshintergrund, damit leider noch notwendige Unterstützungsmaßnahmen passgenau bereitgestellt werden können: von der Sprachförderung in der Kita bis hin zur Ausgestaltung der Pflegeheime.“

Kerim Arpad folgert daraus: „Migrationshintergrund ist also, was man daraus macht. Wenn es der Ersatzbegriff für Ausländer, Türke oder Islamist ist, wäre keinem geholfen. Gleichzeitig sollte man nie vergessen, dass wir alle auch Einwohner, Nachbarn, Kollegen, Freunde sind. Soweit meine Meinung – von einem mit laut Statistik „einseitigem Migrationshintergrund“, also einem Menschen, bei dem nur ein Elternteil Migrant ist.

Diskutieren Sie mit: Welches Wort wird für Migrationshintergrund in anderen Ländern verwendet? Wie finden sie den Begriff? Haben Sie bessere Vorschläge?

Wie mache ich bei „So ist S!“ mit?

Facebook-Gruppe „So ist S!“: Die Facebook-Gruppe „So ist S!“ ist für jeden offen. Die Seite anschauen und die Beiträge lesen können alle, wer selbst  etwas posten oder kommentieren möchte, muss eine formlose Anfrage über Facebook senden – dann wird er als Mitglied bestätigt. Die Gruppe ist unter dem Kurz-Link www.stn.de/soists ganz leicht erreichbar.

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